Es ist ein Gottesdienst, der jeden Dorfpfarrer neidisch werden lassen könnte. Im riesigen Saal der First Baptist Kirche in Dallas stimmen Orchester und Chor die Gläubigen ein. Professionell produziert und live übertragen in Haushalte in Texas und darüber hinaus.
Es geht um klassische christliche Themen. Doch Pfarrer Robert Jeffress begnügt sich nicht mit biblischer Führung, sondern hat auch eine politische Mission, für ein striktes Abtreibungsverbot ab der Empfängnis: «Wir weisen unsere Leute an, dass sie Abtreibungsgegner wählen», sagt Jeffress offen.
Den politischen Kampf gegen die Abtreibung sieht Jeffress als christliche Pflicht. Er schreckt nicht vor einem erschütternden, vermessenen Vergleich zurück: «Nur weil so viele Christen stumm blieben in Nazi-Deutschland, kam Adolf Hitler an die Macht.» Auf den Einwand, er vergleiche die Situation heute mit Nazi-Deutschland, antwortet er: «Ich glaube, Abtreibung ist der Holocaust der Ungeborenen. Wir sollten uns so unnachgiebig dagegen wehren, wie gegen den Horror im Nazi-Deutschland.»
Ein heiliger Kampf gegen Abtreibung wird geführt. Doch wie kam es dazu? Seit etwa 1900 gab es umfassende Abtreibungsverbote in den USA. Das änderte sich 1973 mit dem Urteil des höchsten Gerichts im Fall Roe v. Wade. Abtreibung war nun wieder weitgehend erlaubt. Die Historikerin Jennifer Holland sagt, führende evangelikale Pfarrer seien zunächst nicht gegen Abtreibungen gewesen. «In diesen Jahren gab es viele Führungspersonen, die sagten, die Bibel ist nicht klar. Aber evangelikale Aktivisten drängten darauf, diese Einstellung zu ändern.»
Auch der Gründer der First Baptist Dallas, Pfarrer Criswell, vertrat seinerzeit die Ansicht, das Leben beginne nach der Geburt. Er betonte das Wohl der Frau. Sein Nachfolger sieht das anders. «Das war vor 60 Jahren. Moderne Technologien erlauben uns zu sehen, dass das Baby im Mutterbauch kein Klecks ist, sondern ein menschliches Wesen.»
Evangelikale Christen waren eine Minderheit, aber sie wählten fast immer für Abtreibungsgegner. Das machte sie wertvoll für die Republikaner.
Der Kampf gegen Abtreibung wurde für evangelikale Christen immer mehr zum Kern ihres Glaubens. Holland erläutert: «Diese Bewegung schuf eine Wählerschaft, für die nur ein einziges politisches Thema zählte. Sie waren eine Minderheit, aber sie wählten fast immer für Abtreibungsgegner. Das machte sie wertvoll für die Republikaner.»
Republikaner und Evangelikale halfen sich
Ronald Reagan wurde Präsident, auch dank der Evangelikalen. Doch er enttäuschte sie – die Richterin, die er ernannte, schützte das Recht auf Abtreibung. «In den späten 1990er-Jahren haben die sozialkonservativen Anführer den Druck auf die republikanische Partei erhöht. Sie sagten, wir wollen nicht Teil einer Partei sein, in der auch einige Republikaner für Abtreibungsfreiheit sind», erklärt Holland. «Das führte dazu, dass im 21. Jahrhundert Parlamente in Teilstaaten massenhaft Gesetze gegen Abtreibung erliessen, und dass Leute wie Trump gewählt wurden, die es durchzogen.»
Trump trat persönlich in der Megachurch in Dallas auf. Evangelikale Christen hatten ihn gewählt. Er ernannte umgekehrt sozialkonservative Richterinnen und Richter für den Supreme Court. Viele Teilstaaten wie Texas haben bereits wieder strenge Abtreibungsverbote eingeführt.
Für Pfarrer Jeffress soll es auch keine Ausnahme geben vom Abtreibungsverbot nach einer Vergewaltigung oder Inzest. Er sagt, ein Ende von Roe v. Wade sei erst der Anfang im Kampf gegen die Abtreibung.