Das Homeschooling stellt die Lehrerschaft wie auch die Eltern in diesen Tagen vor grosse Herausforderungen. Er sei zuversichtlich, dass die Schüler wie Lehrer die Corona-Krise positiv nutzen könnten, sagt Andreas Schleicher, Direktor der Abteilung Bildung bei der OECD.
SRF News: Wo steht die Schweiz beim digitalen Fernunterricht im Vergleich der OECD-Länder?
Andreas Schleicher: Technologisch sind die Schulen in der Schweiz relativ gut ausgestattet. Noch mehr zu tun ist bei den Lehrkräften. Einem grossem Teil fehlen – zumindest nach Aussagen der Schulleitungen – die technischen und pädagogischen Fähigkeiten, um Technologie in innovative Unterrichtskonzepte zu integrieren.
Ein grosser Teil der Lehrerschaft kann die Technologie nicht in innovative Unterrichtskonzepte integrieren – zumindest laut den Schulleitungen.
In welchem Land läuft es am besten?
China ist am besten durch die Krise gekommen. Da waren schon nach einem Monat 50 Millionen Kinder online. Es ist auch gut gelungen, die sozialen Beziehungen zwischen Schülern und Lehrkräften zu erhalten. In Europa ist Estland bei der technologischen Ausstattung und den digitalisierten Unterrichtskonzepten sehr weit. Insgesamt stehen wir aber noch am Anfang einer sehr wichtigen Entwicklung.
Was bedeutet die Corona-Krise für die nächste Pisa-Studie?
Wir setzen dieses Jahr aus und machen mit Pisa 2021 unter Berücksichtigung neuer Aspekte weiter. Der Unterrichtsausfall wird Spuren hinterlassen. Ein noch zu entwickelndes Modul wird zeigen, wie Kinder bei geschlossenen Schulen lernen, wer profitiert und wer benachteiligt ist.
Befürchten Sie auch, dass sich die Schere zwischen leistungsstarken und -schwachen Schülern weiter öffnet?
Dafür gibt es sehr gute Hinweise. Für Schüler aus gut situierten Bereichen ist es wohl eine tolle Erfahrung. Sie haben die Unterstützung der Eltern, Zugriff auf neueste Lernmethoden und Technologien. Schüler aus ungünstigem sozialem Umfeld fehlt oft nicht nur der Zugang, sondern auch die häusliche Unterstützung. Hier geht die Schere sicher weiter auf. Das kann aber auch nach langen Ferien beobachtet werden.
Wie kann den Kindern trotz Corona möglichst viel Chancengleichheit gewährleistet werden?
Die Online-Plattformen müssen gut genutzt werden. Hier kann die Regierung viel tun, indem sie die besten Instrumente überall zur Verfügung stellt und die Lehrkräfte unterstützt – auch für mehr Zusammenarbeit untereinander.
Es gibt Stimmen, die das laufende Schuljahr abschreiben wollen. Was halten sie davon, das Jahr, oder zumindest ein Semester, zu wiederholen?
Da sind die Schüler wohl widerstandsfähiger, als wir das oft glauben. Von dem, was sie online lernen, bleibt sehr viel hängen. Alles nochmals zu machen, wäre dann wirklich ein verlorenes Jahr. Wenn es bei ein paar Monaten bleibt, ist dieses Problem zu bewältigen.
Bei den Schülern bleibt online sehr viel hängen. Alles zu wiederholen, wäre dann wirklich ein verlorenes Jahr.
Was überwiegt bei Ihnen – die Sorge um die Bildung oder die Freude über die Fortschritte im digitalen Unterricht?
Sicherlich die Sorge um die Schülerschaft. Denn nicht alle Lehrer sind darauf vorbereitet, und nicht alle Schüler haben zu Hause das entsprechende Umfeld. Ich denke aber auch, dass grosse Veränderungen oft in Zeiten tief greifender Krisen stattfinden.
Das schlimmste Szenario wäre, wenn nach der Krise wieder alles so wäre wie vorher. Doch da bin ich gerade bei den Schülerinnen und Schülern optimistisch. Wer einmal gemerkt hat, dass man selbstständig lernen kann und sich die Lehrkräfte etwa in einem digitalen Laboratorium aussuchen kann, wird später einmal ein anspruchsvollerer Schüler sein.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.