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Hybride Kriegsführung Russische Sabotageakte sind in der Ostsee kaum zu stoppen

Die Ostsee entwickelt sich zunehmend zu einem stillen Kriegsschauplatz. Erneut wurde vor wenigen Tagen eine Unterwasserleitung zerstört, diesmal eine Starkstromleitung zwischen Finnland und Estland. Und: Auch diesmal scheint Russland dahinterzustecken – zumindest sagt das Finnland. Eine Einordnung des SRF-Korrespondenten für internationale Sicherheit, Fredy Gsteiger.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Welche Indizien sprechen für eine russische Beteiligung?

Es gibt ein russisches Interesse für solche Sabotageakte. Moskau möchte den anderen Ostseeanrainerstaaten, die alle der Nato angehören, Schaden zufügen. Dies auch als Retourkutsche für deren Unterstützung für die Ukraine. Und Moskau möchte seine Macht demonstrieren. Ausserdem hat Russland die Möglichkeit, solche Tiefseekabel oder auch Pipelines zu kappen, zu zerstören. Und: Kein anderer Anrainerstaat hat ein Interesse daran, Tiefsee-Infrastruktur zu beschädigen. Das neueste Instrument Moskaus sind nun offenbar Schiffe seiner Schattenflotte. Diese wird auf über 1000 Schiffe geschätzt und hatte ursprünglich einzig den Zweck, die Sanktionen zu umgehen und Russland Ölexporte zu ermöglichen.

Problematische russische Schattenflotte

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Mann in dunkler Jacke klatscht hinter Mikrofonen.
Legende: Russlands Machthaber Putin lässt hunderte alte Schiffe fahren, um die Sanktionen zu umgehen. Neuerdings werden manche von ihnen der Sabotage verdächtigt. Reuters

Auch ohne Sabotageakte ist Russlands Schattenflotte problematisch: Es sind alte Schiffe, die schlecht oder gar nicht versichert und ökologisch bedenklich sind. Und sie sind oft in Flaggenstaaten registriert – wie Gabun oder wie im konkreten Fall den Cook Islands. Diese Länder können keine Kontrollen oder Überwachung sicherstellen.

Wie verletzlich sind die Nato-Staaten durch Sabotage?

Was die Unterwasserkabel und -pipelines angeht: sehr verletzlich. Diese Tiefsee-Infrastruktur ist eine Art Rückgrat oder Lebensader einer modernen, globalisierten Gesellschaft geworden. Da werden Daten, Strom, Öl und Gas transportiert. Diese Kabel sind weltweit insgesamt 1.3 Millionen Kilometer lang und oft nur wenige Zentimeter dick. Dazu kommt, dass die Ostsee ein seichtes Gewässer und im Schnitt nur etwa 50 Meter tief ist. Man kann dort also sehr leicht auch ohne U-Boote Schaden anrichten.

Stromkabel am 25. Dezember gekappt

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Am 25. Dezember trat an einem Untersee-Stromkabel zwischen Estland und Finnland eine Störung auf. Die Verbindung «EstLink 2» wurde daraufhin vom Netz genommen. Einen Tag später setzten finnische Ermittler mithilfe eines Sonderkommandos den Öltanker «Eagle S» fest. Das Schiff ist unter Flagge der Cook-Inseln unterwegs. Und laut der «Financial Times» wird der Frachter mit der russischen Schattenflotte in Verbindung gebracht. Der Schaden am Kabel könnte nach Angaben der finnischen Ermittler vom Anker verursacht worden sein. Die Reparatur werde mehrere Monate dauern. Die Stromversorgung in Finnland laufe dennoch stabil – die Lage könne sich aber verschlechtern, wenn etwa weniger Wind gehe.

Im November waren innerhalb kurzer Zeit Schäden an zwei Glasfaserkabeln in der Ostsee aufgetreten. Dabei handelte es sich um ein Kabel, das zwischen Schweden und Litauen verläuft sowie eins zwischen Finnland und Deutschland. Die Ursache dafür ist noch unklar – doch die schwedischen Behörden ermitteln wegen möglicher Sabotage. Der Fokus der Ermittler liegt auf einem chinesischen Schiff mit dem Namen «Yi Peng 3», das zum fraglichen Zeitpunkt die betroffenen Stellen der Kabel passiert haben soll. Zuvor war im vergangenen Jahr eine Gas-Pipeline zwischen Finnland und Estland schwer beschädigt worden.

Als Folge der Ereignisse in der Ostsee haben nun Estland sowie die Nato angekündigt, ihre Militärpatrouillen im fraglichen Gebiet verstärken zu wollen. (sda)

Kann man die Kabel schützen?

Das ist sehr schwierig. Man könnte sie tief im Meeresboden verlegen, einbetonieren oder mit Stahlmänteln versehen, was zum Teil getan wird. Das ist aber sehr teuer. Oder man könnte sie, was nun auch vorgesehen ist, besser überwachen mit Patrouillen, Küstenwache, Marine, Helikopterflug, Flugzeugen. Aber auch das erfordert enorme Ressourcen.

Gibt es rechtliche Mittel gegen Sabotage?

Diese sind sehr begrenzt. Zuständig für die Verfolgung wären die Flaggenstaaten, wenn solche Schiffe etwas zerstören. Aber im Fall der russischen Schattenflotte ist es unrealistisch, dass diese tatsächlich handeln. Das UNO-Seerecht UNCLOS gibt zwar Staaten relativ weitgehende Rechte in ihren Hoheitsgewässern innerhalb der zwölf-Meilen-Zone. Aber darüber hinaus handelt es sich um internationale Gewässer. Da gibt es keine Befugnisse, Schiffe zu stoppen, festzusetzen, zu kontrollieren oder die Besatzung zu befragen. Man hat das kürzlich bei einem anderen Sabotagefall beim chinesischen Schiff «Yi Peng 3» gesehen, das am Ende dann einfach weiterfahren durfte.

Kann man die Regeln nicht ändern?

Viele Staaten möchten verschärfte Kontrollen, aber das Seerecht anzupassen wäre aufwendig und langwierig. Und es könnte auch heikle Folgen haben, weil dann andere Staaten diese neuen Kontrollbefugnisse ausnützen würden. So könnte etwa China den Seeverkehr nach Taiwan behindern oder sogar unterbinden. Die Wahrscheinlichkeit ist also gross, dass solche Sabotageakte gegen die Tiefsee-Infrastruktur eher noch zunehmen werden. Und sie sind für Russland eine wirksame und billige Form der hybriden Kriegsführung gegen den Westen.

Rendez-vous, 27.12.2024, 12:30 Uhr ; 

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