Avi Motola, 47 Jahre alt, kämpft als Scharfschütze bei der ukrainischen Armee. Er ist Schweizer, kommt aus dem Kanton Schaffhausen. Bis vor Kurzem diente er in den umkämpften Gebieten im Osten. Die «Rundschau» trifft ihn während seines Fronturlaubs in Kiew. «Meine Grundmotivation war immer dieselbe: Ich will keine kleinen Kinder mehr in Plastiksäcke verpacken», sagt er. «Und wenn es durch meine Arbeit nur eines weniger ist, hat es sich schon gelohnt.»
Wenn er als Scharfschütze im Einsatz sei, versteckt an der Front, die Waffe gerichtet, die Umgebung im Blick, verstumme in seinem Kopf alles: die Einschläge der gegnerischen Raketen, die Gedanken an seinen Sohn – an sein Zuhause. Dann sei er konzentriert, manchmal stundenlang. «Es hat sich erst mit dem Krieg herausgestellt, dass ich ein Talent dafür habe.»
Ich will keine kleinen Kinder mehr in Plastiksäcke verpacken. Und wenn es durch meine Arbeit nur eines weniger ist, hat es sich schon gelohnt.
Motola ist einer von vielen Freiwilligen, die als ausländische Kämpfer in die Ukraine gereist sind. Über 20'000 meldeten sich in den ersten Kriegswochen. Wie viele es mittlerweile sind, ist unklar. Ein grosser Teil kommt aus Gebieten der ehemaligen Sowjetunion: Georgien, Litauen, Estland. Manche aber auch aus Westeuropa oder Israel.
Sieben Verfahren gegen Schweizer im Ukraine-Krieg
Anders als in vielen anderen Ländern ist es Schweizern verboten, in fremden Armeen zu dienen. Ein Verstoss wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft. Derzeit führt die Militärjustiz sieben Verfahren gegen Schweizer, die im Ukraine-Krieg kämpfen, wie sie gegenüber der «Rundschau» bestätigt.
Avi Motola kritisiert das Gesetz: «Ich finde, es zeugt von einer grossen Feigheit eines Staates. Soldaten aus Deutschland, Frankreich, Italien, den USA – alle können zurückkehren in ihre Länder und man dankt ihnen. Nur ich muss mit irgendwelchen Repressionen rechnen.»
Vierjährigen Sohn zurückgelassen
Die letzten Jahre vor dem Krieg lebte er ausserhalb der Schweiz, gründete eine Familie. Seinen vierjährigen Sohn zurückzulassen, sei das grösste Opfer gewesen. «Ich stelle mir jeden Tag die Frage: Was zum Teufel mache ich hier? Aber wenn jeder nicht kämpfen würde, der etwas zu verlieren hätte, dann wäre es schon lange vorbei», sagt Motola.
Kurz nach Beginn der Invasion im Februar reiste er mit einer ausländischen Hilfsorganisation in die Ukraine. Er half Zivilisten auf der Flucht. Dann ging er nach Kiew, wollte eigentlich nur ein paar Tage bleiben. Das war zu der Zeit, als die Gräueltaten von Butscha und Irpin ans Licht kamen. Er zögerte nicht lange, schloss sich der Armee an.
Viele denken, wir kommen hierher, um Krieg zu spielen.
Motola dient in einer Einheit von freiwilligen Kämpfern. Einsätze an der Ostfront, in den russisch-besetzten Gebieten. «Viele denken, dass Menschen wie ich hierherkommen, um Krieg zu spielen, um zu töten», sagt er. «Doch mir geht es um die Zivilisten, die ich retten kann. Ukrainer, gerade auf dem Land, sind sehr gutherzige und bodenständige Leute. Sie von den Russen befreien zu können – das waren sehr bewegende Einsätze.»
Bei der ukrainischen Armee ist er auf Zeit angestellt. Im Januar möchte er nach Hause reisen, um seinen Sohn zu besuchen. Ein paar Tage Familienglück – dann kehre er vermutlich zurück in den Krieg.