Im Westen wird dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani oft und gerne das Etikett «moderat» angehängt. Tatsächlich gilt er für iranische Verhältnisse als ziemlich gemässigt. Seit dem Atomabkommen 2015 versuchte er, das Land zu reformieren, doch Präsident Trump hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mit der Wiederaufnahme der US-Sanktionen wächst die Unzufriedenheit im Volk, wie die ARD-Korrespondentin Natalie Amiri berichtet.
SRF News: Wie lange wird sich Rohani unter diesen Umständen noch als Präsident halten können?
Natalie Amiri: Das ist die grosse Frage, denn Rohani steht tatsächlich mit dem Rücken zur Wand. Auf der einen Seite ist die Bevölkerung enttäuscht, der er viel versprochen hat. Auf der anderen Seite wollten die Hardliner ihn und seine Politik der Öffnung überhaupt nicht. Jetzt kippt das Atomabkommen, mit dem sein Schicksal verbunden ist. Es sieht nicht gut aus für Rohani im Moment.
Rohani versprach dem Volk mit dem Atomabkommen von 2015 den Aufschwung. Warum kam es nicht dazu?
Weil kurz darauf Präsident Trump gewählt wurde, der schon im Wahlkampf das Abkommen als «schlechtesten Deal aller Zeiten» gegeisselt hatte. Mit dieser Wende hatten weder der Iran noch Europa gerechnet. Der Iran ging das Atomabkommen in der Hoffnung auf einen Wirtschaftsaufschwung ein. Viele Delegationen kamen ins Land. Es war eine Euphorie. Jedermann wollte investieren.
War es also Trump allein und Rohani hat keine Fehler gemacht?
Rohani selbst hat massive Fehler gemacht. Die Fehler sind aber auch im gesamten politischen System verankert. Es ist ein enorm korruptes System, wie die Bevölkerung jetzt immer mehr durch die sozialen Medien erfährt. Das Volk weiss nun vermehrt von den Konten der Politiker im Ausland und verschwundenen Geldern. Aber auch, dass schon unter dem früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad Milliarden ausser Landes geschafft wurden. Dass Finanzinstitute das Geld der Menschen nahmen und bankrottgingen und die Menschen dadurch von heute auf morgen in die Armut sanken.
Stand Rohani unter diesen Bedingungen vor einer unlösbaren Aufgabe?
So ist es. Er hat zwar versucht, die Korruption zu bekämpfen, aber gegen die intransparenten Machtkämpfe hinter den Kulissen kam er nicht an. Er wurde immer wieder diskreditiert. Die Proteste begannen zum Jahresbeginn, als ein Freitagsprediger dazu aufrief. Dies ging dann allerdings in die falsche Richtung und endete in einer Regimekritik. Solche Steine wurden Rohani immer wieder in den Weg gelegt und nun steht er eigentlich als Verlierer da.
Wer legt Rohani die Steine in den Weg?
Es ist einerseits die Revolutionsgarde, die parallel zum Militär für die Bewahrung der Islamischen Republik gegründet wurde. Die Garde hat sich in den letzten Jahren während der Sanktionen gerade auch im Wirtschaftsbereich unglaublich viel Macht angeeignet. Sie möchte ihre Macht durch eine Annäherung an den Westen nicht verlieren. Dazu kommen anderseits die erzkonservative Justiz und die Hardliner im Land, die eine Öffnung ablehnen. Aber auch Rohani selbst ist kein Reformer und das Attribut «gemässigt» für ihn ist auch mit Vorsicht zu geniessen. Er kommt aus dem tiefsten inneren Sicherheitsapparat der Islamischen Republik.
Kann Rohani angesichts der wachsenden Unzufriedenheit am Atomabkommen festhalten oder ist das politischer Selbstmord?
Das wägt der Iran zurzeit gerade ab. Die Bevölkerung möchte ja eine Annäherung an Amerika und Frieden und vor allem kein zweites Syrien werden. Das Festhalten am Atomabkommen bedeutet gleichzeitig, dass sich die Iraner auf keine weitere Eskalation einlassen wollen. Bei einem Ausstieg aus dem Abkommen müsste der Iran wie angedroht das Atomprogramm wieder aufnehmen, was weder Israel, die USA noch Saudi-Arabien zulassen würden.
Letztlich gehen also Ajatollah Ali Chamenei und die Revolutionsgarde als Sieger aus dem Konflikt hervor?
Als Sieger oder eines Tages alle zusammen als Verlierer.
Das Gespräch führte Simon Leu.