Matthias Kündig: Wer zieht in Ägypten die Fäden?
Robert Springborg: Viele Akteure ziehen an vielen Fäden. Genau das ist das Problem. Niemand ist der grosse Strippenzieher in Ägypten – nicht einmal die Armee. Die traut sich nicht, die unpopuläre Ausgangssperre entlang des Suezkanals durchzusetzen. Das ganze Land ist zersplittert. Das Innenministerium mit rund einer Million Sicherheitskräften ist in verschiedene Gruppierungen aufgeteilt. Es gibt Streiks. Die Muslimbrüder sind zwar geeint, aber geschwächt durch politische Fehler des unpopulären Präsidenten Mursi. Die Opposition besteht nur noch aus einzelnen Gruppierungen.
Sie haben die Polizei erwähnt: Ist sie unfähig oder unwillig, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten?
Eine Kombination aus beidem. Denn die höchsten Ränge der Polizei sind noch immer von Mubaraks Leuten besetzt. Die Polizei ist gespalten. Die einen wollen die Erneuerung des Landes. Die anderen gehören zur alten Garde, die Blut an den Händen hat. Der neue Innenminister wird als Mann der Muslimbrüder angesehen. Die Polizei hat die Muslimbrüder die letzten Jahrzehnte bekämpft, und nun ist sie einem unterstellt. Die einfachen Polizisten stammen aus armen Verhältnissen. Entweder wollen sie bei den gewalttätigen Demonstrationen nicht ihren Kopf für wenig Geld hinhalten oder sie langen aus Frust richtig zu.