Italien hat innegehalten und mit einer bewegenden Zeremonie im Erdbebengebiet und einem landesweiten Trauertag der Opfer der Katastrophe gedacht. In einer zur Kapelle umfunktionierten Turnhalle in Ascoli Piceno nahe der schwer getroffenen Ortschaft Amatrice fand eine Gedenkfeier statt.
Neben hunderten trauernden Angehörigen nahmen auch Staatspräsident Sergio Mattarella und Regierungschef Matteo Renzi an dem Anlass teil. In der Halle standen 35 geschmückte Särge von Erdbebenopfern der Dörfer Arquata und Pescara del Tronto.
«Habt keine Angst, euer Leid herauszuschreien, aber verliert nicht euren Mut», sagte der Bischof von Ascoli, Giovanni D'Ercole, bei der Zeremonie in Ascoli Piceno. «Gemeinsam werden wir unsere Häuser und unsere Kirchen wieder aufbauen. Gemeinsam werden wir unseren Gemeinden wieder Leben einhauchen.»
Habt keine Angst, euer Leid herauszuschreien, aber verliert nicht euren Mut.
Weinende Angehörige, viele von ihnen selbst mit Verletzungen durch das Erdbeben, hielten sich bei der Predigt fest im Arm. Vor der Turnhalle lauschten hunderte weitere Menschen trauernd der Predigt, die über Lautsprecher übertragen wurde.
Renzi äusserte sich nicht öffentlich, nahm sich aber ebenso wie zahlreiche mitgereiste Regierungsmitglieder Zeit, um die Angehörigen der Opfer sowie Lokalpolitiker nach der Zeremonie zu begrüssen.
«Tut mir leid, dass wir zu spät gekommen sind»
Unter den 35 Särgen war auch der kleine weisse Sarg der neunjährigen Giulia. Sie hatte mit ihrem Körper ihre fünfjährige Schwester Giorgia geschützt, die als einer der letzten Menschen lebend aus den Trümmern in Pescara del Tronto gerettet worden war. «Leben und Tod lagen hier von Angesicht zu Angesicht beieinander», sagte Bischof D'Ercole, «und für Giorgia hat das Leben gewonnen».
Unsere Türme mit den Glocken, die uns den Rhythmus der Tage und der Jahreszeiten vorgegeben haben, sind eingestürzt. Sie läuten nicht mehr.
«Es tut mir leid, dass wir zu spät gekommen sind», stand als Botschaft eines Vertreters der Rettungskräfte an einem Zettel auf Giulias Sarg geschrieben. «Aber ich möchte, dass Du von dort oben weisst, dass wir unser Möglichstes getan haben, um Dich dort rauszuholen. Wenn ich später nach Hause nach L'Aquila zurückkehre, weiss ich, dass ein Engel aus dem Himmel auf mich schaut.»
Staatschef Mattarella hatte am Morgen Amatrice besucht. Allein dort waren mindestens 230 Menschen bei dem Beben vom Mittwoch ums Leben gekommen. Mattarella sprach mit Einsatzkräften, die in der für Medienvertreter gesperrten «roten Zone» weiter nach Verschütteten suchten, und dankte ihnen für ihre Arbeit.
Flaggen auf halbmast
Landesweit wehten die Flaggen am Samstag auf halbmast. Italiens Fernsehsender verzichteten auf Werbung und trugen Trauerflor. Die Zahl der Toten stieg nach Angaben des Zivilschutzes auf mindestens 291.
Die Rettungskräfte begannen am Samstag damit, mit Baggern die Trümmer abzutragen – ein trauriges Zeichen dafür, dass sie drei Tage nach dem Beben nicht mehr mit Überlebenden rechneten.
Verstoss gegen Bauvorschriften?
Die Staatsanwaltschaft in der italienischen Provinz Rieti untersucht, ob in der Erdbebenregion gegen Bauvorschriften verstossen wurde. «Was da passiert ist, kann nicht nur als Unglück gesehen werden», zitierte die Tageszeitung «La Repubblica» den Staatsanwalt Giuseppe Saieva. Bei einigen der zerstörten Häuser sei «mit mehr Sand als Zement» gebaut worden.
Vor allem der Einsturz einer erst kürzlich renovierten Grundschule in Amatrice hatte Aufsehen erregt. Bisher seien aber keine Verdächtigen identifiziert worden.