SRF News: Was sagen Sie zu den Plänen Obamas, den CO2-Ausstoss von Kohlekraftwerken stark zu beschränken?
Thomas Stocker: Es ist eine sehr gute Nachricht, diese alten und ineffizienten Kohlekraftwerke zu reduzieren.
Kann man daraus schliessen, dass es den USA jetzt ernst ist im Kampf gegen den Klimawandel?
Ich habe diesen Eindruck schon seit einiger Zeit. Die historische Erklärung von US-Präsident Barack Obama und Chinas Staatschef Xi Jinping vom letzten November zeigt deutlich in diese Richtung. Die Blockade zwischen dem aktuell grössten Emittenten von CO2 – China – und dem historisch grössten Produzenten von Kohlendioxid – den USA – scheint aufgehoben. Das öffnet Wege für viele andere Staaten, mitzuziehen und Vorschläge zu machen, wie CO2 reduziert werden kann.
Die Ausrede gilt jetzt also nicht mehr, man tue nichts, so lange die beiden grössten Emittenten nichts zur CO2-Reduktion unternehmen?
Es ist eine Stimmung entstanden, die zeigt, dass es in Zukunft grosse ökonomische Gelegenheiten geben wird. Da will niemand zurückstehen. Es ist genau diese Dynamik, die es braucht, um das grosse weltweite Problem zu lösen. Es geht langfristig um einen Umbau der Infrastruktur, wie Energie zur Verfügung gestellt wird. Bis Mitte des 21. Jahrhunderts sollen die fossilen Energieträger stark zurückgehen, in der zweiten Hälfte soll ganz darauf verzichtet werden. Das bedeutet einen enormen Strukturwandel, der alle Bereiche der Gesellschaft betrifft. Es braucht neue Infrastrukturen und Produkte. Das bedeutet auch Arbeitsplätze.
Im Dezember wird in Paris über ein neues Klima-Abkommen verhandelt. Wird ein griffiger Vertrag nun realistischer?
Das ist schwierig zu sagen – es ist wohl einfacher, die Klimaentwicklung der nächsten paar Dekaden vorauszusagen. Immerhin: Ich bin optimistisch, denn noch nie waren die politischen Entscheidungsträger derart gut informiert über die wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels; was uns erwartet, wenn wir in den nächsten 50 bis 100 Jahren «Business as usual» machen. Sie wissen um die technologischen Anforderungen damit das Zwei-Grad-Ziel hoffentlich doch noch erreicht werden kann. Und noch nie hatten wir solch konkrete Ankündigungen wie etwa den vorliegenden Plan Obamas. Das sind alles Gründe, für die Pariser Verhandlungen optimistisch zu bleiben.
Auch vor dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 waren die Erwartungen gross. Obama hielt eine eindringliche Rede – und trotzdem standen die USA am Schluss wieder aussen vor. Droht nicht auch in Paris ein solches Szenario?
Das glaube ich nicht, denn die Sachlage ist anders als damals: Es liegen jetzt konkrete Zahlen vor und es gibt konkrete Pläne. Nach der historischen Ankündigung der USA und Chinas vom letzten Jahr sind jetzt auch grosse Entwicklungsländer mit an Bord. Ausserdem stehen viele private Unternehmen hinter den langfristigen Plänen. Sie haben die einmalige Chance erkannt, sich zu entwickeln; auch dass es notwendig ist, Klimaschäden abzuwenden.
Das Thema Klimawandel ist seit der Ankündigung der USA und Chinas wieder präsenter als auch schon. Wie erklären Sie sich dieses Umdenken?
Einerseits ist die Öffentlichkeit durch den letzten Bericht des Weltklimarates IPCC sehr gut informiert darüber, was der Stand des Wissens über den Klimawandel und seine Auswirkungen ist. Andererseits sehen wir auch jeden Tag Extremereignisse: die Auswirkungen des ungebremsten Klimawandels. Das bringt die Leute sicher in allen Teilen der Welt zum Nachdenken, ob der Klimawandel wohl auch in Zukunft noch erträglich sein wird. Deshalb steigt das Bewusstsein, dass es notwendig ist, den Klimawandel zu begrenzen. Und das ist nur möglich, wenn wir die CO2-Emissionen massiv reduzieren.
Selbst wenn es zu einem Klima-Abkommen in Paris kommt: Glauben Sie selber daran, dass die Klimaerwärmung noch gestoppt werden kann?
Mit Paris ist die Reise nicht beendet – sie hat erst begonnen. Es geht um eine Jahrhundert-Aufgabe der gesamten Menschheit. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von der vierten industriellen Revolution, die notwendig sein wird: Nach der Mechanisierung, der Elektrifizierung und der Digitalisierung muss jetzt eine Dekarbonisierung stattfinden – der Übergang zu erneuerbarer Energie. Eine solche Revolution muss die ganze Welt erfassen. Dahinter stecken enorme Chancen: Jede der drei vorangegangenen industriellen Revolutionen hat zu mehr Reichtum und Wohlstand geführt. Das wird auch bei der vierten industriellen Revolution nicht anders sein. Deshalb will man mit dabei sein – und das ist die grosse Chance.
Das Interview führte Matthias Heim.