SRF News: Mit welchen Ansprüchen der Angehörigen wird sich die Lufthansa konfrontiert sehen?
Wolf Müller-Rostin: Bei einem Absturz gibt es für die Airlines grundsätzlich zwei Stufen der Haftung. Auf der ersten Stufe haftet die Luftverkehrsgesellschaft unabhängig von einem Verschulden. Dieser Betrag ist allerdings beschränkt auf rund 140'000 Franken pro Passagier. Es gibt allerdings nur ganz wenige Fälle, in denen nicht ein winziges Element von Verschulden vorliegt. Beispiele sind etwa der Absturz von MH17, die über der Ukraine abgeschossen wurde. Hier wird wohl nur bis zum genannten Betrag von 140'000 gehaftet.
Auf der zweiten Stufe – und das ist der Regelfall – haftet sie schon dann, wenn sie das kleinste Element der Fahrlässigkeit oder der Nachlässigkeit trifft. Hier ist die Haftung unbegrenzt – bis zur Höhe des nachgewiesenen Schadens. Da macht es keinen Unterschied, ob der Unfall leicht fahrlässig oder, wie in im Fall der Germanwings-Maschine, mit Vorsatz herbeigeführt worden ist.
Im aktuellen Fall deutet alles darauf hin, dass der Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht hat. Das qualifiziert für die zweite Stufe der Haftung, bei dem die Airline für den «nachweisbaren Schaden» haften muss. Wie wird der berechnet?
Das ist unterschiedlich von Familie zu Familie. Was nach deutschem Recht grundsätzlich ersatzfähig ist, sind einmal die Beerdigungskosten. Das ist ein vernachlässigbarer Posten. Dann kommen aber Unterhaltsleistungen hinzu: Wenn der Verstorbene Familienmitgliedern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet war. Diese Leistungen werden berechnet und können als Schadensersatz geltend gemacht werden.
In welcher Grössenordnung könnten sich diese Forderungen für die Lufthansa bewegen?
Das ist sehr schwierig vorherzusagen, weil diese Ansprüche individuell verschieden sind, etwa abhängig vom Alter der verstorbenen Person oder der Anzahl Kinder. Wie auch immer die endgültige Schadensersatzleistung sein wird: Eine Airline von der Grösse Lufthansa wird das finanziell nicht in die Knie zwingen, weil sie haftpflichtversichert ist.
Deckt eine Versicherung auch einen derart extremen Fall ab, in dem ein Pilot eine Maschine wissen- und willentlich zum Absturz gebracht hat?
Zunächst einmal haftet die Luftverkehrsgesellschaft auch für das Verhalten ihrer Piloten. Sie haftet für fahrlässiges, für grob fahrlässiges und auch für vorsätzliches Handeln. Dafür hat die Gesellschaft aber Versicherungsschutz, das heisst, die Versicherung deckt auch den Fall des vorsätzlichen Handelns eines Piloten ab.
Das Gespräch führte Andrea Christen.