Das Niemandsland zwischen Russland und Norwegen ist ein unwirtlicher Flecken Erde: eine karge Tundra mit schroffen Felsen und eiskalten Flüssen. Hier traf im Kalten Krieg die Sowjetunion auf das Nato-Land Norwegen.
Bis heute sind die Grenzen auf beiden Seiten des Pasvikflusses stark befestigt. Auf russischer Seite existieren zudem lange Sperrzonen, die nur mit einer entsprechenden Bewilligung betreten werden dürfen. Im letzten Jahr schafften es gerade einmal 20 Asylbewerber über die sogenannte Arktisroute ins norwegische Hafenstädtchen Kirkenes.
Keine Fussgänger, keine Autos – also Velo
Im Holzhaus der norwegischen Grenzbeamten in Storskog klingelt jedes Mal eine Glocke, wenn sich jemand vom gegenüberliegenden Kontrollposten auf der russischen Seite in Richtung Norwegen aufmacht.
Seit einigen Wochen ist dies nun aber fast ständig der Fall: denn seit Anfang Oktober sind über 2000 Menschen über diesen Grenzposten nach Norwegen gekommen. Da die russische Seite keine Fussgänger über die Grenze lässt und Norwegen bei der Einreise von Motorfahrzeugen strengste Richtlinien anwendet, kommen diese Flüchtlinge per Velo nach Norwegen.
«Ich war eine Woche lang unterwegs, zunächst auf dem Landweg, dann per Flug nach Nordrussland, und schliesslich mit dem Bus an den die Grenze, wo ich mir ein Velo für den Übertritt kaufte», sagt eine 37 Jahre alte Syrerin in einem Zelt gleich hinter dem norwegischen Grenzposten. Sie hofft nun, dass ihr Mann, der noch in der Türkei ist, bald nachkommen kann.
Infrastruktur aus dem Kalten Krieg
Das abgelegene Städtchen Kirkenes an der kalten Barentssee weit nördlich des Polarkreises ist von der Infrastruktur her besser auf eine solche Flüchtlingswelle vorbereitet, als manch anderer Ort in Europa.
Der Grund: der zurückliegende Kalte Krieg und der darauffolgende Zusammenbruch der Sowjetunion. In Kirkenes, wo heute gerade einmal 4000 Menschen leben, bereitete man sich in den 1990er-Jahren auf eine Flüchtlingskrise aus Nordwestrussland vor – und schuf die Voraussetzungen dafür, innerhalb eines Jahres gegen 50’000 Menschen aufnehmen zu können.
Doch das sei lange her, sagt die Direktorin des lokalen Krankenhauses, Cecilia Hansen. «Heute fehlt es uns an Ausrüstung und Personal, um so viele Menschen empfangen und medizinisch untersuchen zu können. Zum Beispiel haben wir gerade einmal einen Röntgenapparat hier in Kirkenes», sagt Cecilia Hansen.
Abgelegene Fischerdörfer neu belebt
Die norwegischen Behörden versuchen deshalb, die vielen Flüchtlinge, die täglich über die Arktisroute nach Kirkenes radeln mit Bussen in der weitläufigen, aber sehr schwach besiedelten nordnorwegischen Provinz Finnmark zu verteilen. Dort erwachen nun stillgelegte Fischerdörfer und verlassene Schulen über Nacht zu neuem Leben erwachen. So auch in Hammerfest, der nördlichsten Stadt der Welt.
«Als Gemeinde in einem sehr reichen Land müssen wir unseren Beitrag leisten und diesen Menschen auf der Flucht helfen», sagt der Bürgermeister von Hammerfest, Alf Jakobssen, wo in diesen Tagen die ersten Syrienflüchtlinge eingetroffen sind. Sie werden in Arbeiterwohnungen untergebracht, die seit dem kürzlich abgeschlossenen Bau einer riesigen Flüssiggasanlage leer stehen.
In Oslo regt sich Widerstand
Fast 2000 Kilometer südlich in der Hauptstadt Oslo fragt sich die norwegische Regierung jedoch, weshalb Russland, dass bislang seine Nordwestgrenze hermetisch abgeriegelt hatte, nun plötzlich diese Menschen nach Norwegen durchwinkt – während an der viel längeren Grenze zu Finnland noch kaum Flüchtlinge registriert worden sind.
Der zuständige Justizminister Anders Anundsen hat angekündigt, dass Norwegen ein altes Rückführungsabkommen mit Russland in Anspruch nehmen könnte, so dass die derzeit offene Arktisroute schon bald wieder dicht gemacht werden könnte.
«Ich glaube, dass viele dieser Menschen bereits in Russland eine Aufenthaltsbewilligung haben und nicht direkt aus Syrien kommen. Deshalb brauchen sie nicht unsere Hilfe», sagt Justizminister Anundsen, der der rechtspopulistischen Fortschrittspartei angehört. Diese nimmt in der Ausländerpolitik eine viel restriktivere Haltung ein, als der konservative Koalitionspartner Høyre von Ministerpräsidentin Erna Solberg.
Trotz der Ankündigung einer eventuellen Grenzschliessung rechnen die norwegischen Behörden nun damit, dass bis Ende Jahr bis zu 10’000 Menschen über die Arktisroute nach Norwegen kommen könnten. Das Ankunfts-Signal im Grenzposten von Storskog bei Kirkenes wird wohl noch viele Male zu hören sein.