Danuta Hübner sitzt im europäischen Parlament für die Liberalkonservative Fraktion. Zuvor war sie fünf Jahre lang EU-Kommissarin. Die 68-jährige Polin bietet an, das Gespräch über die Zukunft der EU um sechs Uhr morgens oder abends um halb acht zu führen. Hübner ist jemand, der auch als Parlamentarierin für die EU lebt und arbeitet. «Die EU ist in keiner guten Verfassung. Aber es könnte viel schlimmer sein, wenn wir wirklich nichts getan hätten, so wie die Kritiker pausenlos behaupten.»
Daten der Bürger sind sicherer als in den USA
Hübner zitiert ein ganzes Bündel an Massnahmen. Das Bankensystem sei im Nachgang zur Finanzkrise sicherer gemacht worden. Das Parlament habe ein enormes Investitionsprogramm gegen die Arbeitslosigkeit aufgegleist. Und sie hätten beim Datenschutz mächtig zugelegt. Die Daten der Bürger könnten in der EU nicht mehr so einfach geplündert werden wie in den USA.
All dies, so Hübner, seien riesige Projekte, die ein Einzelstaat nie hätte stemmen können. Aber, sagt sie: «Wir haben es nicht geschafft, wirtschaftliches Wachstum zu schaffen. Da haben wir viel Vertrauen verspielt. Und all das, was ich vorher sagte, sind zwar wichtige Massnahmen, aber für die Leute wenig fassbar.»
Interessant ist, dass sämtliche angefragten Parlamentarier Hübner beipflichten, ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit. Die Ausnahme sind die hartgesottenen EU-Gegner. Aber es herrscht Einigkeit: Europa brauche, um aus der Krise zu kommen, nicht weniger, sondern mehr Europa. Die Chefin der Grünen im EU-Parlament, die Deutsche Rebecca Harms, sagt es so: «Ich glaube, dass alle verstanden haben, dass die gemeinsame Währung nicht wirklich stabil werden kann ohne gemeinsame Wirtschafts- und Haushaltspolitik.»
Für den Italiener Gianni Pitella, Chef der Sozialisten, wäre mehr Mitsprache der EU-Bürger das Rezept, ähnlich wie in der Schweiz. Er sagt: «Wir haben deshalb einen parteiübergreifenden Antrag gestellt, dass der EU-Kommissionspräsident in Zukunft direkt von den EU-Bürgern gewählt wird. Aber leider wollen das die Mitgliedstaaten nicht. Diese möchten bei dieser Frage mitbestimmen und nicht dem Volk die Wahl überlassen.» Im EU-Parlament herrscht deshalb grosser Frust über die nationalen Regierungen.
Immer wieder komme es zudem vor, dass Regierungschefs in Brüssel Vorschläge absegnen. Aber schon aus dem Flugzeug, das sie zurückbringt, begännen die ersten, Meldungen zu vertwittern, wonach sie gegen den Beschluss seien. Vertrauensfördernd sei das nicht, sagt Pitella.
Trotz allem nicht weniger Europa
Wenn auch die nationalen Regierungen immer wieder EU-Beschlüsse torpedieren, wäre weniger Europa vielleicht doch die bessere Lösung. Allerdings zieht die Polin Hübner aus einem Stapel Papier eine Statistik hervor: «Jedes Land für sich ist zu klein. Wir brauchen ein Europa in dieser globalisierten Welt. Als die EU gegründet wurde, erwirtschafteten die Gründerländer 40 Prozent des Welt-Bruttoinlandprodukts. Heute kommen wir mit viel mehr Einwohnern auf knapp 16 Prozent.» Wenn sich die EU auflöse, dann zerfalle sie in 28 kleine, unbedeutende Staaten.