Der russische Rock-Veteran Andrej Makarewitsch ist im ganzen Land bekannt und – jedenfalls bis jetzt – sehr populär. Nun aber soll der Musiker mit einem landesweiten Auftrittsverbot belegt werden. Makarewitsch will man offenbar zudem all seine staatlichen Auszeichnungen wegnehmen, die ihm in den letzten Jahren verliehen worden sind.
Staatspranger in Moskauer Geschäftsstrasse
Der Grund: der 60-jährige Musiker hat sich erlaubt, sich kritisch zu Putins Ukraine-Krieg zu äussern. Er ist im Donbassgebiet an einem Solidaritätskonzert zugunsten ukrainischer Kriegs-Vertriebener aufgetreten. Makarewitsch ist nur ein Beispiel dafür, wie die russischen Behörden unliebsame Bürgerinnen und Bürger zum Schweigen zu bringen versuchen.
Mitten in Moskau, am Novi Arbat, an der Fassade des Haus des Buches, wird Makarewitsch zusammen mit dem Rocksänger Juri Schewtschuk, dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow oder mit der international anerkannten Schriftstellerin Ludmila Ulitskaja als Teil einer Fünften Kolonne öffentlich an den Pranger gestellt und denunziert. Auf einem etwa acht Meter hohen Plakat, welches die halbe Fassade des dortigen Geschäftshauses bedeckt.
Ähnlich kritisiert wird jetzt das Komitee der Russischen Soldatenmütter. Dieses hat in den letzten Tagen klärendes Licht in die Hintergründe von Putins jüngster Kriegspolitik gebracht und nachgewiesen, dass Russland in den letzten Wochen zwischen 10'000 und 15'000 Soldaten zum Kampf in die Ukraine geschickt hat, und, dass inzwischen Hunderte dieser jungen Männer verletzt oder gar tot zurück gebracht worden sind.
Russland führt ja offiziell auch gar keinen Krieg.
Ella Poljakowa ist Co-Vorsitzende der Soldatenmütter. Und sie ist pikanterweise auch Mitglied des Menschenrechtsrats von Präsident Putin. In einem Interview mit dem privaten Fernsehkanal «Doschd» hat sie unter anderem kritisiert, dass sich der russische Staat aus seiner Verantwortung zurück ziehen wolle, wenn es darum gehe, verletzten oder Angehörigen gefallener Soldaten mit Unterstützung beizustehen.
Wenn die Soldaten verletzt oder tot nach Russland zurück gebracht würden, so werde diesen Soldaten der Dienstvertrag rückwirkend auf ein Datum gekündigt, welches vor jenem Tag liege, an dem diese verletzt oder getötet worden seien.
Damit müsse der russische Staat gegenüber diesen Soldaten und deren Angehörigen keine Verantwortung übernehmen. «Das ist tragisch und grausam», sagt Poljakowa. «Nichts kann dann so von den Betroffenen belegt werden. Russland führt ja offiziell auch gar keinen Krieg.»
Tote Soldaten sollen in Gruppenbegräbnissen beigesetzt werden
In den letzten Tagen mehren sich auch die Nachrichten über Gruppenbegräbnisse, bei denen junge Soldaten in ihren Heimatdörfern beigesetzt werden. Die Behörden seien dort stets bemüht, die Angehörigen über die Hintergründe im Dunkeln zu lassen. Obwohl letztlich klar sei, dass so viele Soldaten aufs Mal kaum bei einer Truppenübung auf dem Kasernenhof ums Leben gekommen sein können. In der russischen Stadt Pskow sind deshalb auf dem Friedhof sogar die Namensschilder der beigesetzten Soldaten entfernt worden.
In Sankt Petersburg wiederum haben Bewohner kürzlich einen langen Krankenwagen-Konvoi beobachtet, der vom dortigen Militärflughafen aus von Armeefahrzeugen zu einem der Spitäler eskortiert worden ist. Als sich besorgte Bürger über die Kolonne kundig machen wollten, war die Armee nicht bereit, eine Erklärung abzugeben.
Die liberale russische Zeitung «Vedemosti», die es sich nach wie vor erlaubt, ab und zu auch kritische Anmerkungen zur Regierungspolitik zu machen, hat die militärische Intervention Russlands in die Ukraine mit den Anfängen des sowjetischen Afghanistan-Einsatzes verglichen. Auch damals, so «Vedemosti», hätten die Behörden den Einsatz zuerst geheim zu halten versucht, bis das Kriegsengagement angesichts der vielen Verletzten und Todesopfer nicht mehr zu verheimlichen gewesen sei.
Gross-Demo angekündigt
Und die heutige Ausgabe der «Moscow Times» kritisiert, dass die russische Propaganda jetzt wie nach sowjetischem Vorbild eine Schmutzkampagne nicht nur gegen die Soldatenmütter, sondern verstärkt auch gegen kritische Kulturschaffende führt. Wie seinerzeit gegen Boris Pasternak oder Joseph Brodsky.
Solche Stimmen zum Krieg in der Ukraine sind in Russland derzeit eher selten zu hören: «Ich fürchte, dass sich das als furchtbarer Fehler heraus stellen wird. Wenn unser Land einen Krieg führt zwischen Brüdern, gegen unsern nächsten Nachbarn.»
Der Rockmusiker Makarewitsch findet wie andere kritische Zeitgenossen nur noch in den liberalen Medien wie hier bei «Echo Moskau» Gehör. Kaum Zweifel aber, dass die russische Öffentlichkeit – trotz aller russischen Staats-Propaganda – dereinst von belastenden Nachrichten der Kriegsfront in der Ukraine eingeholt werden wird.
Zudem: In zwei Wochen ist hier in Moskau eine Gross-Kundgebung gegen den Krieg geplant. Eine offene Frage ist derzeit bloss noch, ob die Behörden diesen Protest bewilligen werden, und ob zum Beispiel Makarewitsch dort auftreten kann oder nicht.