Diccon Bewes ist in Südengland aufgewachsen, seit über zehn Jahren lebt er in Bern. Bewes schreibt Bücher über das Leben in der Schweiz. Er macht seiner Enttäuschung über das Ja zum EU-Austritt seiner Landsleute deutlich Luft.
Die Briten seien es nicht gewohnt, politische Verantwortung zu übernehmen, deshalb sei das Brexit-Votum so herausgekommen, sagt er. Und deshalb sei das Volk nun auch in zwei Lager geteilt, die nicht miteinander sprechen könnten.
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SRF News: Wie denken Sie jetzt über den Brexit – nachdem Sie den ersten Schock etwas verdaut haben?
Diccon Bewes: Ich sehe die Dinge jetzt ein wenig klarer. Am Freitag war ich schockiert, am Samstag waren es Ärger und Wut, am Sonntag versuchte ich, das Positive zu sehen – und jetzt ähnelt mein Zustand einer Depression. Es gibt keine Hoffnung.
Über welche Auswirkungen des Brexit machen Sie sich am meisten Sorgen?
Es wird viel mehr Rassismus in der britischen Öffentlichkeit geben. Zudem ist mein Land in seiner Form bedroht: Schottland könnte das Vereinigte Königreich verlassen und vielleicht auch Nordirland. Für Europa bedeutet der Brexit ausserdem quasi eine Rückkehr in die Dreissigerjahre des letzten Jahrhunderts, als jedes Land mit jedem anderen Land kämpfte. Das ist nicht gut für Europa und uns Europäer.
Die Briten sind in zwei Lager geteilt, die nicht mehr miteinander sprechen.
Sie waren klar gegen den Brexit, leben aber seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz, die auch nicht zur EU gehört. Können Sie dem Austritt der Briten aus der EU gar nichts Positives abgewinnen?
Fast gar nichts. Die Schweiz hat 20 Jahre lang an ihren Beziehungen mit der EU gearbeitet, Ergebnis sind die Bilateralen Verträge. Grossbritannien muss nun dasselbe in zwei Jahren erreichen. Kommt hinzu: Die Schweiz hat trotz den Verträgen Probleme mit Brüssel wegen der Personenfreizügigkeit und dem Binnenmarkt. Das zeigt: Die Schweizer SVP und die Ukip in Grossbritannien wollen etwas, das unmöglich ist – etwas, das beide Länder in Schwierigkeiten bringt.
Werden die Schweiz und Grossbritannien ihre Beziehungen künftig vertiefen – jetzt, da beide nicht (mehr) in der EU sind?
Vielleicht im Land der Fantasie. Davon träumen SVP und Ukip, aber es wird kaum Realität. Auch ist die Efta für Grossbritannien wenig attraktiv. Viel wichtiger ist die EU. Fast 60 Prozent der britischen Exporte gehen in die Europäische Union, in die Efta-Länder bloss 7 Prozent.
In der Schweiz sind sich die Stimmbürgerinnen und -bürger gewohnt, dass sie regelmässig an der Urne abstimmen. Weniger Erfahrung haben da die Briten. Wie gehen sie mit dieser politischen Verantwortung um?
Leider nicht so gut, wie man jetzt sieht. In Grossbritannien gibt es nur selten Abstimmungen – seit ich lebe war dies erst das dritte Referendum. Entsprechend sind wir uns dies nicht gewohnt. Normalerweise machen die Politiker alles für uns: Sie streiten miteinander im Parlament und finden die Lösungen. Wir müssen für die Politik keine Verantwortung übernehmen. Deshalb ist die jetzige Situation für uns Briten schwierig: Es wurde eine schwerwiegende Entscheidung getroffen und das Volk ist nun in zwei Hälften gespalten, die im Moment nicht miteinander sprechen können. In der Schweiz ist das anders: Es ist normal, dass es mitunter gehässige Abstimmungskampagnen gibt, aber die beiden Lager können danach weiter zusammenarbeiten. Das geht in Grossbritannien derzeit nicht. Doch die «Remain»- und die «Leave»-Leute müssen bald wieder zusammen sprechen – sonst haben wir keine Zukunft.
Das Gespräch führte Nadine Felber.