Die Zahl der Menschen, die durch Terroranschläge getötet wurden, ist im letzten Jahr um zehn Prozent gesunken, wie die Londoner Denkfabrik Institute für Economics and Peace berichtet. Dennoch glauben die meisten Menschen, dass die Zahl der Terror-Anschläge zunimmt. Sicherheitsexperte Fredy Gsteiger ordnet die Zahlen ein.
SRF News: Wie kommt es zu diesem Rückgang von Terrorismus?
Fredy Gsteiger: Vor allem wegen einer Verbesserung der Situation in den Ländern, in denen es vorher sehr viele Terrorattentate gegeben hat. Beispielsweise im Irak, in Somalia, Pakistan, Indien oder auch Nigeria ist die Zahl der Attentate letztes Jahr deutlich zurückgegangen. Grund für die Abnahme ist in vielen Fällen, dass Terrorismus entschiedener bekämpft wird – Pakistan und Nigeria sind gute Beispiele dafür. Auch der Bedeutungsverlust der IS-Terrormiliz in Syrien und im Irak hatte positive Folgen. Es gibt allerdings auch Länder, wo eine gegenteilige Entwicklung festzustellen ist. Die Boko Haram ist in Nigeria stärker unter Druck geraten und hat sich teilweise in andere Länder wie Tschad oder Kamerun ausgebreitet. Zudem verübt die IS-Miliz mehr Attentate im Westen. Insgesamt aber gab es letztes Jahr zehn Prozent weniger Terroranschläge als im Jahr davor.
Trotzdem ist Terrorismus in unserer Wahrnehmung überall. Reagieren wir so, weil er uns im vergangenen Jahr so nahe gekommen ist?
Das spielt eine ganz wesentliche Rolle. Ein Anschlag im afghanischen Kandahar hat nicht dieselbe Aufmerksamkeit in den hiesigen Medien, wie einer in Brüssel oder Paris. Ein Stück weit ist das auch verständlich, aber es führt dazu, dass wir die Dimension und die Problematik des Terrorismus zum Teil falsch einschätzen. Es gibt einige wenige Länder – Nigeria und der Irak gehören dazu – wo in den letzten Jahren fast die Hälfte sämtlicher Attentate weltweit stattgefunden haben. Aber diese Länder stehen nicht so stark im Fokus wie Attentate, die in der Nähe stattfinden. Irrational ist auch die Berichterstattung über die Dimension des Terrorismus. Natürlich gibt es sehr viele Terrortote – es waren fast 30‘000 im letzten Jahr –, aber in Syrien gibt es ein Vielfaches an Kriegsopfern. Doch eine Angriffsform wie Terrorismus, die jederzeit und überall erfolgen kann, macht Angst.
Ein Anschlag im afghanischen Kandahar erhält hier nicht dieselbe Aufmerksamkeit, wie einer in Brüssel oder Paris. Das ist zwar verständlich, aber es führt dazu, dass wir den Terrorismus zum Teil falsch einschätzen.
Die Studie geht auch auf den volkswirtschaftlichen Schaden ein und beziffert diesen mit 90 Milliarden Dollar. Wie kommt diese Zahl zustande?
Da spielt sehr vieles hinein. Kosten für die Terroropferhilfe, Terrorbekämpfung und technische Installationen bis hin zu volkswirtschaftlichen Schäden durch Zeitverlust aufgrund von Wartezeiten an Flughäfen wegen der Kontrollen. Aber auch hier muss man die Relationen wahren: Natürlich sind 90 Milliarden Dollar eine enorme Summe. Verglichen mit den 13 bis 14 Billionen Dollar, die Gewalt und Kriege weltweit verursachen, ist der Anteil des Terrorismus doch wieder vergleichsweise klein. Das müsste uns eigentlich lehren: Terror ist ein grosses Problem, aber er ist bei weitem nicht das grösste.
Vergangenes Jahr ist es also in verschiedenen Regionen gelungen, den Terrorismus einzudämmen. Heisst das, dass sich Terrorismus effektiv bekämpfen lässt?
Ja, das ist so. Es gibt gute Beispiele: In westlichen Ländern ist das vor allem durch engere Zusammenarbeit zwischen den Behörden und durch besseren Informationsaustausch gelungen. In anderen Ländern funktionierte es, weil die Sicherheitskräfte entschiedener als früher gegen den Terrorismus vorgegangen sind. Es sind aber meistens nur kurzfristige Erfolge, denn Terrorismus ist extrem flexibel: Wenn er irgendwo stärker unter Druck kommt, sind die Terrororganisationen rasch in der Lage, anderswo Attentate zu planen. Einen Endsieg über den Terrorismus wird es nicht geben.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer