Die Polen haben für den Wechsel gestimmt: Bei der Parlamentswahl am Sonntag ist die nationalkonservative Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) klar stärkste Kraft geworden.
Nach in der Nacht zum Montag veröffentlichten Hochrechnungen stimmten 38 Prozent der Wähler für PiS und ihre Spitzenkandidatin Beata Szydlo. Dies reicht den Prognosen zufolge, um allein zu regieren.
Regierungschefin räumt Niederlage ein
«Dieser Sieg ist euer aller Verdienst», sagte Szydlo vor jubelnden Anhängern. Die liberalkonservative Bürgerplattform (PO) von Regierungschefin Ewa Kopacz kam danach lediglich auf 23,4 Prozent. Sie muss sich nach acht Jahren an der Regierung mit der Oppositionsrolle abfinden. Bei den Parlamentswahlen vor vier Jahren hatten noch 33,7 Prozent der Wähler für die PO gestimmt und 23,2 Prozent für die PiS.
Kopacz räumte am Abend ihre Niederlage ein. Fast trotzig verwies sie auf die Erfolge von acht Jahren PO-Regierung, vor allem das Wirtschaftswachstum und den Rückgang der Arbeitslosigkeit. «In diesem Zustand überlassen wir Polen denen, die heute gewonnen haben», sagte sie.
Absolute Mehrheit wahrscheinlich
Wenn sich die Prognosen bestätigen, kann Szydlo alleine regieren. Die Nationalkonservativen dürfen auf 238 Sitze im neuen Parlament hoffen, für die absolute Mehrheit sind 231 Mandate notwendig. Die PiS ist dann erstmals seit 2007 an der Macht. Die Wahlbeteiligung lag bei 51,6 Prozent. Wann das offizielle Endergebnis bekanntgegeben wird, war noch nicht klar.
Im künftigen Parlament sind Prognosen zufolge fünf Parteien vertreten. Drittstärkste Partei ist danach die konservative Bewegung Kukiz des ehemaligen Rockmusikers Pawel Kukiz, die 9,1 Prozent der Stimmen erhielt und auf 44 Abgeordnetensitze hoffen kann.
Wirtschaftswachstum kein Erfolgsgarant
Ausserdem schafften die wirtschaftsliberale Partei Nowoczesna mit 7,2 Prozent und die Bauernpartei PSL mit 5,7 Prozent der Stimmen den Einzug ins Parlament. Die Linke hingegen ist erstmals nicht vertreten.
Die bisher regierende PO konnte trotz des guten Wirtschaftsverlaufs und der relativ niedrigen Arbeitslosigkeit im Wahlkampf nicht punkten. Die Regierungspartei wurde zudem durch den Wechsel von Ministerpräsident Donald Tusk ins Amt des EU-Ratspräsidenten geschwächt.
Kritische Haltung zur EU
Die PiS steht der Europäischen Union deutlich kritischer gegenüber als die PO. Sie hat einen raschen Beitritt zur Euro-Zone ausgeschlossen und eine Erhöhung der Sozialausgaben für die Armen versprochen. Zudem lehnt sie die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten mit dem Argument ab, diese würden die katholische Lebensweise des Landes bedrohen.
Nach Ansicht von Beobachtern dürfte gerade in der Flüchtlingskrise die Zusammenarbeit in der EU mit einer von der PiS geführten Regierung erheblich schwieriger werden. Auch gegenüber Russland verfolgt die PiS einen harten Kurs, vor allem nach dessen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim. Hier könnte eine von der PiS geführte Regierung den Versuch erschweren, wieder eine grössere Annäherung zwischen der EU und Russland zu erreichen.
Wahlkampf mit «Flüchtlingen» und «Brüssel»
Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Führung von Beata Szydlo versprach im Wahlkampf eine Senkung der Steuern und des Rentenalters sowie eine Erhöhung der Sozialleistungen.
Starker Mann im Hintergrund ist nach wie vor der frühere Regierungschef Jaroslaw Kaczynski. Im Wahlkampf wetterte er gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Polen und generell gegen eine Politik, die seiner Ansicht nach auf eine Unterwerfung Polens unter ein Diktat aus Brüssel hinausläuft.
Die offiziellen Wahlergebnisse werden am Montag erwartet, Angaben zur definitiven Mandatsverteilung am Dienstag.
Diese Politiker kämpfen um die Macht
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Bild 1 von 6. Beata Szydlo (PiS) wird wohl nach den Wahlen Premierministerin Polens. Die Politikerin hat einen guten Wahlkampf geführt: Sie machte die schrillen Töne anderer PiS-Exponenten vergessen und die Partei damit attraktiv für Wechselwähler. Die Tochter eines Bergarbeiters ist und gibt sich provinziell – in diesen Wahlen ein Erfolgsrezept. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 6. Auch PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski hat einen guten Wahlkampf gemacht – weil er sich zurückhielt. Erst in den letzten Tagen schlug er öffentlich die gewohnt hetzerischen Töne an, wodurch die Partei laut Umfragen ein paar Wähler verlor. In seiner Partei herrscht er. Offen ist, wie stark er die zukünftige PiS-Premierministerin Szydlo steuern wird. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 6. Die Noch-Premierministerin Ewa Kopacz (PO) wirkte im Wahlkampf zunehmend hilflos. Vor einem Jahr übernahm sie Regierung und Partei von Donald Tusk – wenig Zeit zur Vorbereitung einer Wahl. Überdies machte ein Abhörskandal ihrer Partei zu schaffen. Wo sie politische Akzente setzte, blieben sie unbemerkt. Die Polen sind Kopaczs Partei müde. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 6. Als Spitzenkandidatin des Linken Bündnisses würde Barbara Nowacka (ZL) Premierministerin, wenn das Bündnis die Wahlen gewänne. Das wird nie geschehen. Doch als Chefin einer sozialliberalen Partei mit Wurzeln in der Zivilgesellschaft hat sie das Zeug, die Linke zu beleben. Und so viele Stimmen zu holen, dass das Bündnis ins Parlament einzieht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 6. Der Rockmusiker Pawel Kukiz (Kukiz15) kam bei der Präsidentschaftswahl im Frühling auf sensationelle 21 Prozent. Doch danach tat er sich schwer mit der Gründung einer Partei und leistete sich konfuse Wahlauftritte. Er ist rechts und gegen das politische System. Schafft seine Partei die 5-Prozent-Hürde, könnte er ein Koalitionspartner der PiS sein. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 6. Der Ex-Wirtschaftswissenschafter und Ex-Banker Ryszard Petru wurde oft als Experte in polnischen Medien zitiert. Seine Partei hat er dieses Jahr gegründet. Nowoczeszna (die Moderne) ist ultraliberal. Ihr Wahlkampf muss sehr teuer gewesen sein, die Plakate der Partei hängen überall. Regierungsbeteiligung wäre nur in einer Anti-PiS-Koalition möglich. Bildquelle: Reuters.