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Internationale Politik Wie realistisch ist ein dritter Weltkrieg?

Die US-Erlaubnis, dass die Ukraine Raketen gegen Militärziele in Russland einsetzen darf, hat die Kriegsrhetorik nochmals verschärft. Der Krieg im Gazastreifen, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, oder chinesische Militärmanöver vor der Insel Taiwan: Überall auf der Welt scheint es zu brennen. 

Die akute Gefahr eines dritten Weltkriegs sei im Moment aber nur begrenzt, sagt Fredy Gsteiger. Er befasst sich bei SRF mit Sicherheitspolitik. Denn für alle Beteiligten stehe sehr viel auf dem Spiel.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Wie begründet ist die Sorge nach einem Ausbruch des dritten Weltkriegs?

Wenn man davon ausgeht, dass alle wesentlichen Akteure rational handeln, dann ist die Sorge begrenzt. Objektiv gesehen haben weder die USA noch China oder Russland ein Interesse an einem neuen Weltkrieg. Alle hätten sehr viel zu verlieren, vor allem die Bevölkerung in diesen Ländern. Aber man weiss natürlich nie, ob alle Mächtigen tatsächlich rational entscheiden. In den Ersten Weltkrieg ist man ja auch hineingestolpert.

Ist die Debatte über einen dritten Weltkrieg berechtigt?

Die Debatte ist durchaus berechtigt. Natürlich hat sie manchmal etwas sehr stark alarmistische Züge. Man muss auch sehen, dass es im Zusammenhang mit einem möglichen Weltkrieg Profiteure gibt. Die Rüstungsindustrie beispielsweise boomt.

Rauch steigt über einem städtischen Gebiet auf.
Legende: Eine Rauchsäule im palästinensischen Rafah nach einem israelischen Angriff. REUTERS/Mohammed Salem

Aber es ist korrekt, dass nicht einfach einige wenige Panik schüren. Beträchtliche Teile der Bevölkerung, tendenziell in Europa, im Osten oder auch Nordosten wie etwa Skandinavien, fühlen sich bedroht. Sie haben das Gefühl, dass die Gefahrenlage grösser ist als seit vielen Jahrzehnten.

Wo ist die Lage am brenzligsten?

Im Moment gibt es zwei Orte, wo man denkt, dass ein solcher Weltkrieg den Anfang nehmen könnte. Das wäre, wenn China einen Angriff auf die Insel Taiwan ausüben würde. Oder wenn Russland nach einem denkbaren Sieg über die Ukraine weitere Länder angreifen würde.

Soldat zielt mit Gewehr im Freien.
Legende: Ein Ukrainischer Soldat mit seinem Gewehr in der Donezk-Region. REUTERS/Thomas Peter

In Russland gibt es durchaus Anzeichen, die in diese Richtung deuten. Es nimmt grosse Verluste in Kauf, braucht den Krieg oder zumindest hohe Spannungen, auch zur internen Stabilisierung. Und: Man weiss, dass in solchen Situationen der Appetit mit dem Essen kommt. Also ein Erfolg Russlands in der Ukraine würde wahrscheinlich auf den Kreml ermunternd wirken, um eine weitere Expansion anzustreben. Ein Misserfolg hingegen hätte wohl eine dämpfende Wirkung.

Welchen Einfluss hat Russland auf einen dritten Weltkrieg?

Wenn Russland Nato-Staaten angreifen würde, beispielsweise das Baltikum, Rumänien oder Polen, dann müsste die NATO aufgrund der Bündnispflicht diesen Ländern zu Hilfe zu eilen. Man weiss nicht hundertprozentig, ob und in welchem Umfang sie das machen würde. Grundsätzlich ist diese Verpflichtung aber vorhanden. Dann stünde man in einem Krieg, wo sich Russland und die NATO Staaten, angeführt von den Vereinigten Staaten, direkt gegenüber stünden.

Wie realistisch ist ein Angriff Chinas auf Taiwan?

China hat gegenüber der eigenen Bevölkerung immer wieder signalisiert, dass Taiwan zwingend zu China gehören müsse, auch wenn die historischen Ansprüche auf dünnen Füssen stehen. Und es hat auch klargemacht, dass man notfalls eine militärische Vereinigung in Betracht zöge.

Luftaufnahme eines Kriegsschiffs auf dem Meer.
Legende: Im Mai wurden chinesische Kriegsschiffe in Gewässern nahe Taiwan gesichtet. Reuters

Die Frage für Peking ist: Welcher Preis müsste bezahlt werden, um Taiwan zu erobern, ökonomisch und militärisch? Wie sehr wäre die chinesische Bevölkerung bereit, Verluste zu akzeptieren für die Eroberung der doch sehr kleinen Insel Taiwan? Und die dritte Frage, die man in Peking beantworten muss: Würden in diesem Fall die Vereinigten Staaten Taiwan zu Hilfe eilen? All diese Überlegungen beeinflussen natürlich das Kalkül der chinesischen Führung.

Artikel überarbeitet

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Dieser Artikel wurde Ende Mai 2024 bereits publiziert und aus aktuellem Anlass der Einstieg nochmals überarbeitet.

News Plus, 29.05.2024, 16 Uhr ; 

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