Am 9. April wählt Israel ein neues Parlament. Überschattet wird der Wahlkampf von den Korruptionsaffären des Premierministers Benjamin Netanjahu. Ihm drohen in drei Fällen von mutmasslicher Korruption sogar Anklagen. Diese spalten das Land.
Ebenso einige Gesetze, die Netanjahu erlassen hat. Gesetze, die Freiheiten einschränken und jüdischen Bürgern mehr Rechte geben als nicht-jüdischen. «Die einzige Demokratie im Nahen Osten», wie Israel oft genannt wird, war in den Augen der Bevölkerung auch schon demokratischer als jetzt.
Aus einem Fischrestaurant in Tel Aviv ertönt Musik, obwohl es kurz vor Shabbat schon geschlossen ist. Doch die Angestellten haben noch alle Hände voll zu tun.
Auch Chef Robi Guliko. Er schält Kartoffeln, an einem Tisch mitten im leeren Restaurant. Die Politik, der Wahlkampf, widern ihn an, weil sie die Gesellschaft spalteten.
«Ich bin Jude, ich arbeite mit Arabern, und wir haben es gut zusammen – solange wir nicht über Politik sprechen.» Er will nicht mehr sagen und reicht die heisse Kartoffel an seine Angestellten weiter.
Der muslimische Palästinenser Tamin Abu Ali sitzt an der Kasse und zählt die Tageseinnahmen. Er erklärt, was sein Chef meint, wenn er sagt, die Politik spalte die Gesellschaft.
«Hier gibt es Bürger erster, zweiter, dritter und vierter Klasse – und wir Araber sind zuunterst. Wo ist da die Demokratie?», fragt Tamin Abu Ali. Eine hundertprozentige Demokratie gebe es sowieso nirgendwo. Die Schweiz sei vielleicht zu 90 Prozent eine Demokratie, die USA zu 50 Prozent – aber Israel sei es nur zu 40 Prozent.
Für seine Bewertung spielen die Korruptionsaffären von Premierminister Benjamin Netanjahu keine grosse Rolle. Alle Staatschefs seien doch korrupt, nicht nur hier in Israel, sagt er.
Sein Chef nickt und schält weiter Kartoffeln, um Chips zu machen für den nächsten Tag.
Ein paar Hundert Meter vom Fischrestaurant entfernt sitzen drei junge jüdische Männer am Meer und geniessen das Wochenende.
Johnny bedauert die Korruption in der Politik. Vielleicht sei es problematisch, dass Israel schon seit 10 Jahren denselben Premierminister habe, sagt er. «Aber eine Mehrheit hat ihn immer wieder gewählt, deshalb ist Israel eine funktionierende Demokratie. Aber keine perfekte.»
Die Strafuntersuchungen gegen Premierminister Netanjahu wegen mutmasslicher Korruption. Das Nationalitätengesetz, das einzig jüdischen Staatsbürgern das Recht auf nationale Selbstbestimmung zugesteht, also zu bestimmen, was an Schulen gelehrt, welche Sprache gesprochen wird. Das heisst, alle anderen – Muslime, Christen, Drusen – haben dieses Recht nicht.
Vor allem das Nationalitätengesetz habe dazu geführt, dass Israel im internationalen Demokratie-Ranking schlechter abschneide als vor vier Jahren, sagt Gideon Rahat. Der Politologieprofessor forscht am Israel Democracy Institute – dem Forschungsinstitut, das für seine Arbeit zur Stärkung der israelischen Demokratie auch schon vom Staat Israel ausgezeichnet wurde. Dass Israel eine Ungleichheit geschaffen habe zwischen seinen Staatsbürgern, sei das Hauptproblem, sagt der Demokratieforscher.
«Die Linke bestimmt in Israel alles»
Ungleich behandelt fühlen sich allerdings auch die Wähler, die politisch zu Benjamin Netanjahus Mehrheit gehören. In einem Teppichgeschäft in West-Jerusalem rollt Mosche Somech mit seinem Geschäftspartner Teppiche. Er findet, Israel sei keine richtige Demokratie mehr, weil die Linke im Land alles bestimme.
«Wenn die Rechte etwas sagt – gegen Araber, zum Beispiel – dann ruft die Linke ‹Apartheid!›», so Somech. «Aber wenn die Linke dasselbe tut, redet sie sich heraus.» Er spielt dabei auf eine linke Parteichefin an, die sich von einem Ultra-Rechten beraten liess, der für seine Schmierkampagnen gegen Menschenrechtsaktivisten bekannt war. Und die Linke sei doch auch korrupt – aber Netanjahu zerre sie wegen Korruption vor Gericht. Die Gerichte und die Medien seien links – und einseitig.
«Wir brauchen Frieden»
Wenn sich selbst ein Premierminister vor Gericht verantworten müsse, funktionierten die demokratischen Institutionen in Israel, sagt Politologe Gideo Rahat.
«Erstaunlich ist, dass Netanjahu sozusagen die ganze Nation mit vor Gericht ziehen kann», sagt Rahat. Der Rechten rede er ein: nur er könne Israel regieren und beschützen, und stelle alle anderen als Feinde dar.
An der Strandpromenade in Tel Aviv spielt der jüdische Musiker Dor Dalle seine Rababa. «Israel ist eine Demokratie, aber wir brauchen Frieden», sagt er.
Doch darüber redet im Wahlkampf kaum jemand.