Seit Beginn des Gazakriegs kommt es immer wieder zu Konfrontationen im israelisch libanesischen Grenzgebiet zwischen der israelischen Armee und militanten Gruppierungen wie der Hisbollah, also der von Iran unterstützten Miliz. Auf beiden Seiten kommen auch Zivilpersonen ums Leben. Zehntausende Bewohnerinnen und Bewohner in beiden Ländern verliessen bereits ihre Wohnungen. Nahostkorrespondentin Lea Frehse gibt Auskunft über die Lage.
SRF: Wie ist die derzeitige Lage in Libanon?
Es ist wie ein Schwelbrand – die Glut ist da und auch ein erheblicher Schaden. Aber es ist eben noch nichts im Vergleich zu einem richtigen Feuer, das ein offener Krieg entfalten könnte.
Befürchten Sie denn ein Feuer?
Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Krieg zu einem Brand ausweitet. Aber die Gefahr ist sehr hoch. Es heisst, keine der beiden Seiten habe wirklich ein Interesse an der Eskalation. Die Kosten wären hoch und das wissen beide. Aber auf beiden Seiten ist auch die Rede davon, dass ein Krieg unausweichlich sei. Bei der Hisbollah gibt es manche, die meinen, man könne am Ende von einem Krieg profitieren, auch wenn Israel militärisch viel mächtiger ist. Denn irgendwann würde dieser sowieso kommen. Auch auf israelischer Seite gibt es laute Stimmen, die fordern, die Gelegenheit zu nutzen und die Hisbollah entscheidend zu schwächen.
Um einen solchen Brand zu verhindern, versuchen einzelne Staaten wie Frankreich zu vermitteln. Wie könnte eine Lösung des Konflikts aussehen?
Es gab in der vergangenen Woche einen Vorschlag der Franzosen und der Amerikaner. Der sieht im Wesentlichen vor, seit langem beschlossene Regeln endlich einzuhalten. Die Hisbollah sollte sich von der Grenze zurückziehen und Israel von kleineren Gebieten im Süden und aus dem Luftraum.
Es gibt aber einen grossen Elefanten im Raum – Gaza.
Es gibt aber einen grossen Elefanten im Raum – Gaza. Die Franzosen, die Amerikaner und auch die Israelis möchten diesen Konflikt im Libanon isoliert betrachten. Aber der Chef der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat klar gesagt: Wir verhandeln erst, wenn im Gazastreifen die Waffen schweigen.
Haben Sie Verständnis für diese Haltung?
Die Hisbollah betreibt zynische Machtpolitik. Es geht ihr auch wirklich um Gaza. In Libanon sieht man in den Palästinensern auch sich selbst. Man hat den Tod und die Zerstörung, die man in Gaza sieht, in zahlreichen Kriegen und auch durch Israel erlebt.
Das Gefühl, dass das, was in Gaza passiert, auch einen selbst betrifft, ist omnipräsent und sehr stark.
Sie leben ja in Beirut. Wie gehen dort die Menschen mit dem Konflikt um?
Man kann das auf drei Ebenen betrachten. Erstens, im Süden des Landes sind mehr als 80'000 Menschen geflohen. Sie haben ihre Wohnungen und ihr Einkommen verloren, was für sie eine grosse Belastung ist. Zweitens, die Wirtschaft: Diese war schon durch eine Wirtschaftskrise entscheidend geschwächt. Wegen des Konflikts ist sie noch einmal mehr gedrückt. Drittens – und das ist der Hauptpunkt – ist das Psychologische, was man hier durchmacht. Das Gefühl, dass das, was in Gaza passiert, auch einen selbst betrifft, ist omnipräsent und sehr stark.
Wie gross ist der Rückhalt der Hisbollah in der Bevölkerung?
Die Hisbollah steht politisch und sozial sehr geschwächt da. Sie wird mitverantwortlich gemacht für die grosse Wirtschaftskrise und die politische Krise. Sie gilt inzwischen als Teil eines korrupten Establishments. Aber in diesem Moment, wo der vermeintliche Feind von aussen angreift, stellt sich heraus: Die Hisbollah ist die einzige Kraft in diesem Land, die irgendeine Form von Gegenwehr leisten kann und wird. Und das macht sie in der Bevölkerung wieder beliebter.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.