Im Gazastreifen tobt der Krieg zwischen der radikalislamischen Hamas und den Truppen Israels. Auffallend wenig sagt dazu Saudi-Arabien unter dem umtriebigen Kronprinzen Mohammed bin Salman – ein politisches Schwergewicht in der arabischen Welt. Der Nahost-Experte Toby Matthiesen hat eine Erklärung für die Zurückhaltung.
SRF News: Stimmt der Eindruck, dass sich Saudi-Arabien im Nahost-Konflikt auffällig stark zurückhält?
Toby Matthiesen: Ja. Für die Saudis ist es derzeit sehr schwierig, sich zu positionieren und eine aktive Rolle zu finden.
Warum?
Riad hat sich in den letzten Jahren Israel angenähert. Die USA hatten den Plan, dass die beiden Länder ihre Beziehungen normalisieren im Gegenzug für Zugeständnisse gegenüber den Palästinensern.
Die saudische Annäherung an Israel ist wahrscheinlich einer der Gründe für die Terrorattacke der Hamas vom 7. Oktober.
Es ist auch wahrscheinlich, dass die Annäherung einer der Gründe ist, wieso die Hamas die Terrorattacke auf Israel am 7. Oktober durchführte. Offenbar befürchtete die Hamas, durch eine Normalisierung der Beziehungen der arabischen Staaten mit Israel marginalisiert zu werden. Weil auch die saudische Bevölkerung mehrheitlich sehr anti-israelisch eingestellt ist, fällt es der saudischen Regierung jetzt schwer, sich zu positionieren.
Steht Saudi-Arabien gegenüber früher weniger stark hinter den Palästinensern?
Das denke ich nicht. Saudi-Arabien ist quasi Schutzmacht der 2002 ausgearbeiteten arabischen Friedensinitiative für den Nahen Osten, die immer noch die offizielle Haltung der Arabischen Liga ist.
Die Zweistaaten-Lösung wird auch international zunehmend als mögliche Option forciert.
Das Papier verlangt einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt von Palästina und eine faire Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems. Im Gegenzug würden alle islamischen und arabischen Staaten die Beziehungen zu Israel normalisieren. Diese Zweistaaten-Lösung wird auch international und von wichtigen westlichen Ländern wieder zunehmend als mögliche Option in dem jahrzehntealten Konflikt forciert.
Es werden immer mehr Stimmen laut, die fordern, die arabische Welt solle mehr Verantwortung übernehmen und auch Geldmittel für die Palästinenser bereitstellen. Wie stellt sich Saudi-Arabien dazu?
Riad kann sich durchaus vorstellen, mehr Verantwortung zu übernehmen – aber die Parameter der Friedensinitiative von 2002 müssen eingehalten werden. Ziel muss ein Palästinenser-Staat sein – und das nicht erst in Jahrzehnten. Kommt es dazu, würden wohl auch andere arabische Staaten mitmachen.
Israel will keine Zweistaaten-Lösung – und auch die Hamas will das nicht.
Auf dem Weg dorthin könnten auch andere Themen aktuell werden – wie die Forderung der Saudis an die USA für ein ziviles Atomprogramm sowie Schutzgarantien. Dagegen sträubte sich Washington bislang. Israel will keine Zweistaaten-Lösung – und auch die Hamas will das nicht.
Was könnte Saudi-Arabien unternehmen, um diesem Ziel trotzdem näherzukommen?
In der Region stehen eigentlich alle Staaten hinter einer Zweistaaten-Lösung. Saudi-Arabien versucht, sich als Führer der arabischen Welt zu positionieren – als Gegensatz zur iranisch-dominierten Achse des Widerstands, zu der auch die Hamas gehört. Riad möchte einen Konsens unter den pro-westlichen arabischen Staaten aufbauen und so die Achse des Widerstands zurückbinden. Dabei wäre es wichtig, dass Israel eine Bereitschaft zu einem Entgegenkommen zeigt.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.