Israel bereitet eine Offensive auf Rafah im Süden des Gazastreifens vor. Mit der baldigen Zerstörung der Hamas sei der Sieg in Reichweite, sagte Regierungschef Benjamin Netanjahu. Könnte die Hamas mit einem Angriff auf Rafah tatsächlich eliminiert werden? Nahostkennerin Susanne Brunner ordnet ein.
Warum ist Rafah im Nahost-Konflikt so wichtig?
In Rafah liegt der einzige Grenzübergang zu Ägypten. Es gibt immer wieder Vermutungen, dass die Hamas durch die unterirdischen Tunnels im Süden des Gazastreifens mit Waffen und Munition versorgt wird. Inzwischen vermutet Israel die militärische Hauptzentrale der Hamas in den Tunnels unter Rafah. Daher will die israelische Armee die Bodenoffensive dort starten. Israel will die Hamas auslöschen – und mit allen Mitteln verhindern, dass sich ein Massaker wie jenes am 7. Oktober 2023 wiederholt.
Ist die Stadt die letzte Bastion der Hamas?
Bisher seien 18 von 24 Hamas-Bataillonen vernichtet worden, teilte Netanjahu Ende Januar mit. In Rafah seien vier Hamas-Bataillone stationiert. Die amerikanischen Geheimdienste zweifeln diese Zahlen an, doch genau wissen tut es niemand. Ein Teil der Hamas-Führung dürfte durchaus in Rafah weilen, ob es allerdings wirklich die letzte Hamas-Bastion ist, wie Netanjahu betont, kann niemand mit abschliessender Sicherheit sagen.
Kann die Hamas mit einem Angriff auf Rafah zerstört werden?
Israel hat die Widerstandsfähigkeit der Hamas unterschätzt. So berichtete das «Wall Street Journal» kürzlich unter Berufung auf US-Geheimdienste, dass die israelische Armee 20 bis 30 Prozent der Hamas-Kämpfer getötet habe. Eine Terrororganisation allein durch die Tötung einzelner Kämpfer zu zerschlagen, ist praktisch unmöglich. Israel gelingt es womöglich, einen Grossteil der Hamas-Führung sowie deren militärische Ausrüstung im Gazastreifen zu vernichten. Doch ideell kann man eine Terrororganisation nicht einfach auslöschen. Ein Teil der Hamas-Führungsriege sitzt in Katar, ständig werden neue Kämpfer rekrutiert und bewaffnet. Diese Entwicklung lässt sich kaum stoppen.
Angriffe auf Rafah
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Bild 1 von 8. Israels Militär hat im Zuge massiver nächtlicher Angriffe im Raum Rafah im Süden des Gazastreifens nach eigenen Angaben zwei Geiseln gerettet. (12. Februar 2024). Bildquelle: REUTERS/Ibraheem Abu Mustafa.
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Bild 2 von 8. Die beiden 60 und 70 Jahre alten Entführten seien während eines gemeinsamen Einsatzes des Militärs, des Sicherheitsdienstes und der israelischen Polizei in der Nacht in Rafah gerettet worden und bei gutem Gesundheitszustand, teilte das israelische Militär am frühen Montagmorgen mit. Bildquelle: Keystone/IDF.
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Bild 3 von 8. Bei der Operation, die von Luftangriffen begleitet wurde, wurden nach Angaben örtlicher Gesundheitsbehörden rund hundert Palästinenser getötet. (12. Februar 2024). Bildquelle: Keystone/FATIMA SHBAIR.
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Bild 4 von 8. Kurz zuvor hatte die Armee eine Serie von Angriffen in der Gegend von Schabura bei Rafah bekannt gegeben, wo derzeit Hunderttausende palästinensische Binnenflüchtlinge Schutz suchen.(12. Februar 2024). Bildquelle: Keystone/AP Photo/Hatem Ali.
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Bild 5 von 8. Palästinenser begutachten die Schäden an Wohngebäuden, in denen zwei israelische Geiseln festgehalten wurden, bevor sie während einer Operation der israelischen Sicherheitskräfte in Rafah im südlichen Gazastreifen gerettet wurden. (12. Februar 2024). Bildquelle: Keystone/FATIMA SHBAIR.
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Bild 6 von 8. Palästinensische Mädchen machen Fotos an einem Strand in der Nähe des Flüchtlingslagers Rafah (11. Februar 2024). Bildquelle: Keystone/HAITHAM IMAD.
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Bild 7 von 8. Seit dem 7. Oktober 2023 wurden bis zu 1.9 Millionen Menschen, mehr als 85 Prozent der Bevölkerung, im gesamten Gazastreifen vertrieben. Bildquelle: Keystone/HAITHAM IMAD.
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Bild 8 von 8. Einige davon mehr als einmal, so das Hilfswerk der UNO für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Bildquelle: Keystone/HAITHAM IMAD.
Was bedeutet Israels Offensive für die Menschen in Rafah?
Netanjahu lässt zwar die Evakuierung der Zivilisten vorbereiten. Doch eine Militäroffensive in der Stadt an der Grenze zu Ägypten ist problematisch. In Rafah lebten vor dem Krieg rund 300'000 Menschen – heute sind es über 1.3 Millionen. Die meisten von ihnen flohen aus anderen Teilen des Gazastreifens. Sie leben unter grausamen Bedingungen. Zugang zu Trinkwasser, Lebensmitteln und Nothilfe gibt es kaum. Die Menschen sind geschwächt, die meisten von ihnen Frauen, Kinder oder Alte. Sollte Israel seine Bodenoffensive wirklich starten, ist im Gazastreifen mit noch mehr Leid und Tod zu rechnen. Davor warnen etwa die arabischen Staaten und die USA.
Wohin könnten die Menschen flüchten?
Es ist unklar, wo die über eine Million Leute hinsollen. Israels Führung hat den Norden des Gazastreifens ins Spiel gebracht. Das würde bedeuten, dass die Menschen dahin zurückkehren müssten, wo sie herkommen. In eine Region, wo es kaum intakte Gebäude und humanitäre Hilfe gibt. Eine andere Option wäre Ägypten. Öffnet Ägypten jedoch seine Grenzen, könnte dem Land vorgeworfen werden, bei Israels Zerstörung des palästinensischen Staates geholfen zu haben. Das Beispiel Libanon zeigt, dass vertriebene Palästinenser in der Regel nicht mehr in den Gazastreifen zurückkehren wollen. Das wäre das Ende einer Zweistaatenlösung, wie sie sich der Westen wünscht. Es ist eine dramatische und verzwickte Situation.