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Kampf um libysche Hauptstadt «Raketen werden auf Wohnquartiere geschossen»

Seit über zwei Wochen wird in Libyen gekämpft. Der Machthaber im Osten des Landes, Chalifa Haftar, versucht mit seinen Milizen die Hauptstadt Tripolis einzunehmen. Dort verteidigt sich die von der UNO anerkannte Regierung von Fayiz as-Sarradsch. Der Journalist der «La Repubblica», Vincenzo Nigro, ist zur Zeit in Tripolis und erlebt die Angriffe hautnah.

Nigro sagt, in der vorletzten Nacht sei die Millionenstadt Tripolis von bis zu 40 Raketen getroffen worden. Die Raketen seien wahllos auf die Stadt abgefeuert worden, «ganz offensichtlich mit dem Ziel, Zivilisten zu treffen und Angst und Schrecken zu verbreiten», sagt Nigro.

Für die Angriffe macht die Regierung in Tripolis General Haftar verantwortlich. Dieser schiebt die Schuld, ohne allerdings konkret zu werden, anderen Milizen zu. Mit den Kämpfen wird die Lage in Libyen unübersichtlich, ja chaotisch. Das ganze Land werde weiter destabilisiert, so Nigro.

Die Kämpfe, die der Journalist als Bürgerkrieg bezeichnet, könnten die diversen konkurrierenden Milizen stärken, auch radikal-islamistische Verbände. Das Land könnte so in seinem langen und mühsamen Prozess hin zu mehr Stabilität entscheidend zurückgeworfen werden, so der Journalist.

Es fehlt an nichts

Trotz dieser Gefahr, trotz der Angriffe auch auf Zivilisten, sei die Lage in Tripolis bisher aber nicht vollends ausser Kontrolle geraten. So fehle es derzeit weder an Trinkwasser noch an Nahrungsmitteln oder Treibstoff: «In den Läden, aber auch auf dem blühenden Schwarzmarkt, findet man nach wie vor fast alles.» Denn Tripolis sei über den Hafen, den Flughafen und über die Nachbarstadt Misrata mit der Aussenwelt verbunden und der Nachschub funktioniere.

Bisher sei es General Haftar nicht gelungen, mit seinen Milizen in die Stadt vorzudringen. Seine Truppen seien an der südlichen Peripherie blockiert. Doch: «Unterdessen haben die von dort auf Wohnquartiere abgeschossenen Raketen dazu geführt, dass zumindest ein Teil der Bevölkerung von Tripolis sich gegen General Haftar stellt und der von der UNO anerkannten Regierung as-Sarradsch den Rücken stärkt», sagt Nigro.

Gegen Haftar, für die UNO-Regierung

Dies, obwohl auch der Regierung as-Sarradsch Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden und obwohl sie bisher wenig erreicht habe. Denn die Wirtschaft in und um die Hauptstadt liege nach wie vor am Boden. Arbeit gebe es kaum, die Jungen hätten keinerlei Perspektiven.

Vor ein paar Tagen sagte die Regierung as- Sarradsch in Tripolis, wegen der Kämpfe könnten bald bis zu 800’000 Migranten versuchen, nach Europa, vor allem nach Italien, zu gelangen.

Journalist Nigro hält diese Zahl für weit überzogen: «Gemäss Angaben der UNO leben derzeit etwa 600’000 Ausländerinnen und Ausländer in Libyen. Viele von ihnen sind schon vor Jahren, noch unter Diktator Gaddafi, gekommen. Nur wenige von ihnen sind Migrantinnen und Migranten.»

Und trotzdem sei das Szenario, dass die Fluchtzahlen bald wieder steigen, real. Denn durch die Kämpfe und das Chaos in Libyen könnte es einem Teil der Milizen erlauben, sich erneut mit illegalen Geschäften zu finanzieren. Und dazu gehört vor allem der Menschenschmuggel.

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