Bei der UNO gelten ungeschriebene Gesetze. Dazu gehört, dass Chefs von UNO-Organisationen, die ihre Sache ordentlich gemacht haben, für eine zweite Amtszeit wiedergewählt werden. Doch ausgerechnet bei einer der grössten UNO-Organisationen, jener für Migration IOM in Genf, grätschen nun die USA dazwischen.
Statt die Wiederwahl des weitgehend unumstrittenen und von den EU-Ländern unterstützten Portugiesen Antonio Vitorino gutzuheissen, lancieren sie die Kampfkandidatur von Amy Pope.
Bidens Ex-Beraterin soll IOM-Chefin werden
Die grossen Herausforderungen im Migrationsbereich verlangten nach einer erfahrenen Führungsfigur wie Amy Pope, heisst es vom US-Aussenministerium. Bloss: Über viel Führungserfahrung verfügt Pope nicht. Sie war Beraterin der US-Präsidenten Barack Obama und Joe Biden.
Es ist Zeit für einen neuen Ansatz.
Pikant an der Sache ist, dass Pope derzeit Stellvertreterin von Vitorino ist, den sie nun von seinem UNO-Spitzenposten vertreiben will. Statt eng zusammenzuarbeiten, beharken sich die beiden jetzt.
«Es sei Zeit für einen neuen Ansatz», sagt Pope in ihrem Wahlkampagne-Video. Sie will den Klimawandel als wichtigen Auslöser von Migrationsströmen stärker thematisieren und wirbt vor allem in Afrika um Stimmen.
Pope gibt sich als zupackende, pragmatische Chefin. Die Organisation müsse ins 21. Jahrhundert geholt werden, der Chefposten sei keiner für einen Rentner, sagt sie ausserdem. Breitseiten gegen ihren 66-jährigen Chef.
Amtsinhaber steht für den UNO-Migrationspakt
Die IOM mit weltweit gegen 20'000 Angestellten und einem Budget von 1.8 Milliarden Dollar wird immer wichtiger. Erst recht, seit sie von der UNO mit der Durchsetzung des globalen Migrationspaktes betraut wurde.
Die Politik unterschätzt zu oft die positiven Effekte der Migration.
«Zu oft unterschätzt die Politik die positiven Effekte der Migration», so IOM-Chef Vitorino. Ein Prozent Zuwanderung löse oft zwei und mehr Prozente an Wirtschaftswachstum aus, betont der Ex-Verteidigungsminister von Portugal und Ex-EU-Justizkommissar.
Die IOM setzt sich für eine geordnete Migration ein. Sie berät Regierungen und leistet humanitäre Hilfe. Sie ist das in der Öffentlichkeit weniger bekannte Pendant zum UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR. Derzeit ist die IOM enorm gefordert wegen der Migrationsströme aus der Ukraine, aus dem Jemen, Myanmar, Afghanistan oder aus dem Sahel.
Ungünstiger Moment für einen Streit
Der Zeitpunkt für einen internen Machtkampf bei der IOM ist also höchst ungünstig – ebenso wie der Moment für Streitigkeiten zwischen den USA und der EU. Wegen der Konfrontation mit autokratischen Mächten wie Russland und China ist man mehr als je zuvor aufeinander angewiesen.
Dass die Amerikaner als klar grösster IOM-Beitragszahler den Chefposten – sie hatten in früher jahrzehntelang inne – besetzen wollen, leuchtet vielen ein. Aber dass sie das Amt sofort und gegen einen breit akzeptierten EU-Kandidaten wiedererobern wollen, sorgt für heftige diplomatische Verstimmung.
Umso mehr als sie den Posten 2018 völlig selbstverschuldet verloren haben. Damals portierte Präsident Donald Trump mit dem Evangelikalen Ken Isaacs einen völlig ungeeigneten, fast unwählbaren Kandidaten.
US-Präsident Joe Biden trat bis anhin gegenüber verbündeten Staaten sehr geschickt auf. In der IOM-Frage indes gerät er nun aus dem Tritt – und stösst die Europäer vor den Kopf.