Im Hafen vor dem Markt von Doha schaukelten vor 100 Jahren noch die Boote der Perlentaucher. Das Öl brachte dem Wüstenstaat den Aufbruch in die Moderne. Zu seinem heutigen sagenhaften Reichtum aber kam Katar dank des Gasfelds vor seiner Küste. Es ist das grösste der Welt, wie sich herausstellte.
Das Herrscherhaus der Al Thani investierte seit den 1990er-Jahren vorausschauend in die Verflüssigung dieses Gases. So wurde es über alle Weltmeere verschiffbar. Glaspaläste schossen aus dem Wüstenboden. Solange die globale Nachfrage nach dem Treibstoff seiner Ambitionen anhält, kann sich der Emir jede Extravaganz leisten. Selbst eine Fussballweltmeisterschaft.
Es geht für Katar darum, als kleines Land seine Unsichtbarkeit zu überwinden.
«Es geht für Katar darum, in den internationalen Beziehungen wahrgenommen zu werden und als kleines Land seine Unsichtbarkeit zu überwinden», sagt der Politikwissenschaftler Danyel Reiche. Er forscht in Doha unter anderem über Sport und politische «Soft Power».
Katar versuche so, Einfluss in den internationalen Beziehungen zu haben. Ausserdem gehe es dem Land um die Sicherheit. Schliesslich ist Katar von grossen, mächtigen Nachbarländern wie Iran und Saudi-Arabien umgeben.
Ambitiöses Herrscherhaus
Aber es geht bei der Imagepflege, dem «Nation Branding», auch um das Sendungsbewusstsein eines überaus ambitiösen Herrscherhauses. Katar will ernst genommen werden auf der Weltbühne, möglichst auf Augenhöhe mit dem ebenso reichen Bruderstaat und Konkurrenten nebenan, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE).
Dank der Fussball-WM reden derzeit alle von der winzigen Halbinsel am Persischen Golf, halb so gross wie Sardinien. Was am Schluss hängenbleibe, lasse sich noch nicht abschätzen, glaubt Reiche. «Auch, wenn die Schlagzeilen negativ sind, ist es ja immer noch eine Auseinandersetzung, die stattfindet mit Katar.»
Und so scharf die Kritik im Westen sein mag, in der Region selbst freuen sich viele. Es ist die erste Fussballweltmeisterschaft in der arabischen Welt – dank Katar. Allein in die Infrastruktur hat es enorme Summen investiert. Im Jahrzehnt seit der Vergabe sind ganze neue Stadtquartiere entstanden.
Im Ausland investiert der Emir derweil in grossem Stil in Konzerne, Hotels und Sportclubs – aber auch in Konfliktgebiete. Im Syrienkrieg etwa pflegte Katar beste Kontakte zu Islamisten bis an die Ränder von Al-Kaida. Das hat Katar den Vorwurf der Terrorunterstützung eingetragen.
Neuerdings versucht der Golfstaat, diese Aussenpolitik zur Tugend umzudeuten. Er präsentiert sich der Welt als politischer Vermittler mit Gesprächskanälen in alle Richtungen.
Keinerlei innenpolitische Reformen
Innenpolitisch wird viel über eine Öffnung der Gesellschaft diskutiert. Zu tatsächlichen Reformen durchringen vermochte sich Katar aber nicht. Es hiesse, die nationale Identität neu zu formulieren und die Privilegien, welche die Einheimischen geniessen, mit den Zugezogenen zu teilen: freie Gesundheitsvorsorge, sichere Stellen im Staatsdienst etwa.
Auch das politische System bleibt fest. Der Emir muss vor Entscheidungen allenfalls ein paar handverlesene Stammesführer konsultieren, um keine Palastrevolte zu riskieren. Ansonsten regiert er als absoluter Herrscher.
Die Wahlen und politischen Institutionen vermitteln nur den Anschein von Mitbestimmung. Sie sind nur wenig realer als der Canal Grande mit den Gondolas, der in Doha durch die Shopping-Mall im venezianischen Dekor fliesst.