Zwei ältere Frauen öffnen das Fenster ihres schmucken Fachwerkhauses und schauen etwas verwundert auf die Szene. Vor der Pizzeria in Durrenbach wird die Kamera des Lokalsenders France 3 Alsace aufgebaut. Ein kleiner Tross von Medienleuten umringt einen adretten jungen Mann im blauen Anzug.
«Ich bin jetzt Ihr Abgeordneter», ruft der Mann des Rassemblement National den verdutzten Frauen über die Dorfstrasse hinweg zu, noch ganz benommen von seinem Erfolg. Théo Bernhardt wurde vor seinem allerersten Fernsehinterview frisch gewählt. Er ist jüngster Abgeordnete im Elsass und der Einzige der Rechtsaussenpartei in der Region, der seine Stichwahl tatsächlich auch gewonnen hat.
Von der Provinz nach Paris
Der 24-Jährige hat gerade seine Studien in Biomedizin abgeschlossen. Nun ist er «député» im Palais Bourbon, der Nationalversammlung in Paris. 7000 Euro Monatsgehalt und 6000 Euro Parlamentarierspesen mit direktem Zugang zum Dienstwagenpool des Hauses und freier Fahrt in allen TGVs. Am 18. Juli tritt die neue Nationalversammlung zum ersten Mal zusammen.
Auch im Pariser Hauptquartier der Rechtsaussenpartei war am Sonntagabend schon der Champagner kühl gestellt. Die Parlamentsmehrheit schien in Reichweite, doch die einlaufenden Ergebnisse lagen weit von den eigenen Erwartungen entfernt. Entsprechend konsterniert die Gesichter. Die Wahl sei gestohlen worden. Bald werde anstelle der Trikolore die Flagge Palästinas über Frankreich wehen. So zitieren die Medien in Paris frustrierte Aktivisten.
Das Rassemblement wird salonfähig
Jordan Bardella, der Parteichef, nur vier Jahre älter als der frisch gewählte Elsässer «député», malt gerne den Untergang des Landes an die Wand. Er beruft sich auf seine Jugend in der Banlieue von Paris, wo er gesehen habe, wie Frankreich islamisiert werde.
Marine Le Pen hat ihre ganze Energie verwendet, um ihre Partei aus der Schmuddelecke zu holen und um die rechtsnationalistischen Positionen des Rassemblements salonfähig zu machen. Es gab Schützenhilfe auch aus den traditionellen Parteien.
Da war Nicolas Sarkozy, der mit einer Rhetorik der Härte gegenüber der «racaille», dem «Abschaum» in der Banlieue, wie er sagte, an die Macht kam. Oder auch Emmanuel Macron selbst, der das Rassemblement zu seinem Hauptgegner emporstilisierte und damit das Ansehen der Rechtsaussenpartei stärkte.
Hier im ländlichen Elsass geht's gemächlicher zu und her als in der Hauptstadt und in den einstigen Industriehochburgen Frankreichs. Hagenau, das nächste Städtchen ist Schmuck mit historischem Kern und Trachtengruppe, die auf dem Markt elsässische Tänze aufführt.
Warum der Zuspruch? Darüber rätselt auch das Grüppchen Einheimischer vor dem Rathaus. «Wir können uns nun wirklich nicht beklagen in dieser behüteten Ecke des Landes», sagen sie. Doch das Gefühl, nicht mehr zu Hause zu sein, die Übersicht zu verlieren in einer immer verrückteren Welt, hat offenbar auch Menschen in dieser Gegend erfasst.
Und die Gewissheit, von den Pariser Eliten nicht ernst genommen zu werden, bestätigt sich immer wieder aufs Neue. Die Statistiken zeigen, dass die Akzeptanz der Rechtsaussenpartei auch im Mittelstand wächst. Bei den letzten Wahlen eroberte das Rassemblement National 89 Sitze, jetzt sind es 143. «Das kann nur Positives verheissen», ist Théo Bernhardt, der Elsässer Abgeordnete der Partei, überzeugt.