Mittwochmorgen in Baku, Aserbaidschan: Vor dem Plenarraum der UNO-Klimakonferenz warten Hunderte Menschen auf Einlass. Marie-Claire Graf spürt die «Energie» im Raum. Die Verhandlungen seien zwar blockiert, doch in den letzten Tagen komme die Zeit der Konzessionen. «Schlafmangel ist eine Realität», sagt sie und verteilt an Bekannte «Schoggistängeli».
Die Umweltwissenschafterin war einer der führenden Köpfe des Schweizer Klimastreiks, engagiert sich in der Hochschulpolitik und zusehends in multilateralen Foren. Sie war die erste Jugendvertreterin in der Schweizer Verhandlungsdelegation und gründete die «Youth Negotiators Academy», die junge Menschen im diplomatischen Handwerk ausbildet. 150 davon verhandeln derzeit in Baku in staatlichen Delegationen.
Weit kommt man an ihrer Seite nicht. In den fensterlosen Hallen kennt sie Hunderte Personen. Viele umarmt sie, hohen UNO-Kadern winkt sie zu. «Läuft nicht so», sagt sie zu einem jungen Verhandler aus Panama. Die von Graf ausgebildeten Personen bilden ein Netzwerk, erklärt dieser. Die Perspektive der Jungen soll so staatsübergreifend einfliessen. Teilweise agiere man koordiniert, was in den Verhandlungen auch ein «Momentum» begünstigen könne, wie es hier heisst.
Eine zähe Sache
Graf sitzt in einem Loungesessel. Der Kaffee sei überteuert. Vieles erledigt sie am Handy. Sie ärgert sich über die aserbaidschanische Präsidentschaft, die Knackpunkte in den Verhandlungen kaum antizipiert habe. Über 50'000 Menschen tummeln sich am kaspischen Meer, verhandeln tut ein Bruchteil davon.
Wegen des Einstimmigkeitsprinzips produziert die Weltklimakonferenz immer nur den Mindestkonsens. Vieles ist jahrelang blockiert. Beschlüsse wie der Ausstieg aus fossilen Energien werden national oft ungenügend umgesetzt.
Nils Hesse der bürgerlich-liberalen Denkfabrik R21 erkennt keine Strategie, damit sich alle Länder an unverbindliche Ziele halten werden. «Bei Staaten ist es wie bei Menschen. Die einen wollen mehr Geld verdienen, die anderen CO₂ sparen. Das geht manchmal nicht zusammen. Es braucht Anreize für alle.»
Was sonst?
Graf anerkennt, dass der Prozess zäh ist. Der Klimaschutz sei aber nicht in der Krise. Auf Fragen, warum Grüne ihre Wähler verlieren oder ob die Klimajugend an der Bevölkerung vorbeiagiere, weicht sie aus. Die Bewegung habe viel erreicht. Zudem müsse man auf ein globales Problem mit einem globalen Prozess antworten: «Nur so sind die am meisten geschädigten Staaten vertreten.» Die europäische Perspektive nennt sie eine privilegierte Perspektive.
Die Klimapolitik ist Grafs Welt, deren Spielregeln ihr nicht verhandelbar scheinen. Die Domäne habe kein Problem mit der Daseinsberechtigung, sagt sie. Obwohl die Welt auf über drei Grad Erderwärmung zusteuert. Oder vielleicht auch gerade deswegen.