Das Dorf Sfantu Gheorghe liegt am Ende Europas, am Ende Rumäniens. Dahinter verliert sich die Donau im Schwarzen Meer, nur mit dem Boot kommt man hierher.
1.2 Milliarden Euro hat die Europäische Union in dieses Schwemmland geschickt. Doch: Wer in Sfantu Gheorghe heute einen Herzinfarkt hat, wird zwei Stunden lang mit dem Boot ins nächste Spital gefahren. Kinder leben ab der achten Klasse in Internaten weit weg von Zuhause, weil es keine Oberstufe mehr gibt.
Nicolae Uncu hat eine Pension in Sfantu Gheorghe. Er setzt seinen kritischen – manche sagen: aufmüpfigen – Geist dafür ein, das Leben hier zu verbessern. Das viele Geld aus der EU habe nichts geändert, sagt er. «Das Geld ist verloren.»
Das Besucherzentrum der Verwaltung des Donaudeltas steht in einem leeren Holzhaus, dem die Bretter wegbrechen wie faule Zähne – auch das bezahlt mit EU-Geld. «So schlecht wie diese Verwaltung das Delta verwaltet», sagt Nicolae Uncu, «geht sie auch mit ihren eigenen Gebäuden um.»
EU-Geld landet bei Briefkastenfirmen
Marcel Ivanov war früher, bevor das EU-Geld verteilt wurde, Präsident des Landkreises. Heute ist er Mitglied einer kleinen, pro-europäischen Partei. Er erzählt, wie in der Stadt Tulcea Firmen aus ganz Rumänien Zweigstellen eröffneten, als sich abzeichnete, dass das Delta Geld aus der EU erhalten würde. Zweigstelle, das heisse: ein Zimmerchen mit Tisch und Stuhl, nur eingerichtet, um Aktivität im Delta vorzutäuschen.
Diesen Firmen hätten die lokalen Mächtigen einen grossen Teil des Gelds zugeschanzt – und dabei selber kassiert. Dann hätten sich die Firmen wieder aus dem Delta verzogen und das Geld anderswo in Rumänien investiert. Ausserdem habe es Interessenkonflikte gegeben: Die Lokalbarone hätten über die Verteilung des Gelds entschieden und dabei ihre eigene Entourage begünstigt.
Tatsächlich ist EU-Geld etwa in die Bäckerei von Bekannten der Mächtigen geflossen oder in die Möbelfabrik ihrer Verwandten.
Ein unbenutzter Fischmarkt
An der trüben Donau steht ein Betonblock: der neue Fischmarkt. Fünf Millionen Euro der EU habe er gekostet, sagt Marcel Ivanov. «2019 wurde er eingeweiht, war aber nie in Betrieb.» Die Idee war, die Fischer unabhängig zu machen von den Zwischenhändlern. Am Fischmarkt sollten sie ihren Fang zum besten Preis verkaufen können.
Doch niemand hatte sich überlegt, wer zuständig sein soll für den Betrieb, sodass am Schluss niemand zuständig war. Geldverschwendung wegen Inkompetenz, sagt Marcel Ivanov. Zusätzlich zur Geldverschwendung wegen Schummelei und Korruption.
Die EU ermittelt
SRF wollte mit dem mächtigsten lokalen Politiker im Delta über die Vorwürfe sprechen, dem Präsidenten des Bezirksrats der Stadt Tulcea, Horia Teodorescu. Dieser schreibt, er habe das EU-Geld nicht selbst verteilt. Die Gegend habe aber sehr wohl profitiert davon.
Dann zählt er Strassen und Brücken auf, die das Leben der Menschen im Landkreis tatsächlich angenehmer machen. Nur eben auf dem Festland. Dafür hätte man nicht das EU-Geld ausgeben müssen, das explizit fürs Schwemmland vorgesehen war.
Wer schuld ist an dessen Versickern, wird sich zeigen, denn die europäische Staatsanwaltschaft und die EU-Behörde ermitteln wegen Betrugs. Geld fliesst weiterhin: Die EU hat noch einmal mehr als 200 Millionen Euro für das Donaudelta gesprochen.