Das Gemeindehaus von Zvečan gleicht einer Festung: Gitter und Stacheldraht sperren den Zugang ab. Soldaten der internationalen Schutztruppe Kfor stehen vor gepanzerten Militärfahrzeugen Wache. Vor den Absperrgittern, die mit serbischen Fahnen drapiert sind, sitzen die Bewohnerinnen des Ortes unter roten Sonnenschirmen am Strassenrand. Sie protestieren gegen die Präsenz der Soldaten. Trotz der Mittagshitze sind etwa 30 Personen hier. Es wird gegessen und geplaudert.
Zvečan ist eine von vier mehrheitlich serbisch bewohnten Gemeinden, ganz im Norden Kosovos. Die Gegend war in den letzten Wochen wegen des Konflikts um Kosovo weltweit in den Schlagzeilen.
Schwerste Eskalation seit Jahren
Genau hier ist es Ende Mai zur schwersten gewaltsamen Eskalation in Kosovo seit Jahren gekommen. Damals haben serbische Demonstranten die Soldaten der Kfor mit Eisenstangen und selbstgebastelten Sprengsätzen angegriffen. Dutzende Menschen sind zum Teil schwer verletzt worden.
Ausgelöst wurden die Proteste, als vier neu gewählte Bürgermeister unter Polizeischutz ihr Amt in den Gemeindehäusern antreten wollten. Die Bürgermeister sind albanischstämmig, während die Mehrheit der Bewohner und Bewohnerinnen serbisch ist. Diese haben die Wahl boykottiert. So wurden die Bürgermeister mit einer tiefen Wahlbeteiligung von unter vier Prozent gewählt. Viele betrachten ihre Wahl daher als illegitim.
Proteste dauern an
Seither versammeln sich die Menschen hier täglich zum Protest. Im Schichtbetrieb wird sichergestellt, dass die Präsenz Tag und Nacht hochgehalten wird. Das gleiche Bild zeigt sich in den anderen serbischen Gemeinden im Norden. «Solange die Bürgermeister und die kosovarische Polizei hier sind, solange werden wir weitermachen», sagt Miloš. Er kommt jeden Tag zu den Protesten. Eigentlich heisst er anders, doch er will seinen Namen nicht öffentlich nennen.
Auch Jelena will ihren richtigen Namen nicht nennen. Die junge Frau arbeitet als Englischlehrerin an der lokalen Schule. Seit den gewaltsamen Zusammenstössen befände sich ihr Dorf in einem Belagerungszustand, beklagt sie. Die Schule steht gleich neben dem Gemeindehaus und stand bis vor kurzem noch innerhalb der Sperrzone. Die letzten Wochen des Schuljahres mussten daher online stattfinden.
Grundsätzlicher Konflikt
In den Gesprächen mit den Menschen zeigt sich, dass es den meisten um mehr als nur die Bürgermeister geht. Sie sehen sich als Staatsbürger Serbiens und wollen sich nicht in den kosovarischen Staat integrieren. Hier im Norden Kosovos fühlt sich das Leben so an, als wäre man in Serbien. Jelena unterrichtet ihre Schülerinnen und Schüler nach dem serbischen Lehrplan, bezahlt wird mit serbischem Dinar, die Löhne und Pensionen werden von Serbien bezahlt, auch jener von Jelena.
Das soll so bleiben: Eine Integration ins kosovarische Schulsystem lehnt sie ab. «Kosovo schreibt die Geschichte um, auch unsere, das ist inakzeptabel», sagt Jelena. Sie will, dass an ihrer Schule auch in Zukunft die serbische Sichtweise auf die Vergangenheit gelehrt wird.
Kosovarische Regierung geht gegen Parallelstrukturen vor
Diese über Jahre gewachsenen Parallelstrukturen will die kosovarische Regierung von Albin Kurti nicht mehr akzeptieren. Kurti will das Gebiet im Norden in den kosovarischen Staat integrieren und geht dabei entschlossener vor als seine Vorgänger. Seit seinem Amtsantritt hat sich die Lage im Norden daher immer mehr zugespitzt, bis es Ende Mai zur erwähnten Eskalation gekommen ist.
Seither ist eine angespannte Ruhe eingekehrt. Das Sicherheitsdispositiv wurde stark ausgebaut. Kfor-Soldaten und die kosovarische Spezialpolizei sind bei ihren Patrouillenfahrten sichtbar. Auf der Fahrt zwischen den Dörfern müssen die Menschen immer wieder Checkpoints passieren. Diese Präsenz der Sicherheitskräfte, vor allem der kosovarischen Spezialpolizei, wird von vielen hier im Norden als fremde Besatzung angesehen.
Nicht alle verweigern den Dialog
Während hier viele eine Zusammenarbeit mit dem kosovarischen Staat als Verrat anschauen, geht Nenad Radosavljevic einen anderen Weg. Er arbeitet mit dem albanischen Bürgermeister in seinem Heimatdorf zusammen. «Ich bin Realist, auch wenn das derzeit nicht sehr populär ist», sagt Nenad. Durch seine Arbeit könne er helfen, für Stabilität zu sorgen, und Projekte vorwärtsbringen, die den Menschen zugutekommen.
Das Problem sieht er in den Regierungen von Serbien und Kosovo. Sie wollten sich im Konflikt gegenüber der eigenen Wählerschaft profilieren. Die Interessen der lokalen Bevölkerung seien ihnen dabei egal. Da die meisten ihre Löhne und Pensionen aus Serbien erhalten, seien sie erpressbar und müssten sich so verhalten, wie es der serbische Präsident Aleksandar Vucic verlangt. So steht dieser auch hinter dem Boykott der Lokalwahlen. Die finanzielle Abhängigkeit ist auch der Grund, weshalb viele nicht ihren echten Namen nennen wollen.
Andere Situation im Süden
Während es im Norden im Alltag der Menschen kaum zu einem Austausch zwischen den Bevölkerungsgruppen kommt, funktioniert das Zusammenleben im Rest des Landes ohne Probleme. Etwa in der Region Brezovica, ganz im Süden.
Die Bergregion ist bekannt für ein grosses Skigebiet und liegt nahe an der Grenze zu Nordmazedonien. Die Gegend ist gleichermassen von Serben und Albanerinnen bewohnt.
«Im Alltag gibt es keine Probleme zwischen Serben und Albanern», sagt Nikola. Der 22-jährige ist Koch im Restaurant «Tiffany». Klar habe er albanische Freunde und gehe gerne mit ihnen in die umliegenden Städte, um etwas zu trinken. Man sehe es aber auch hier im Restaurant, das Luli, einem Albaner, gehört.
Vor acht Jahren hat Luli das Restaurant eröffnet, das direkt an der Strasse liegt, die hinauf in den Nationalpark führt. Bewusst habe er nur Serben und Serbinnen aus der Gegend eingestellt. Er sagt: «Die Politik macht die Probleme, nicht die Menschen.» Er selbst spürt das am eigenen Leben. Der lokalen Politik gefalle nicht, was er hier im Restaurant mache, und lege ihm immer wieder Steine in den Weg.
Konflikt ist schlecht fürs Geschäft
Wenn sich der Konflikt im Norden zuspitzt, dann drückt das aufs Geschäft. «Wir haben dann weniger Gäste, weil sie Angst haben, in eine mehrheitlich serbische Gemeinde zu kommen», sagt Luli. Dabei sei die Situation hier nicht mit jener im Norden vergleichbar.
«Die Situation ist hier nicht so, wie es im Fernsehen gezeigt wird», sagt Nikola. Durch die Medien hätten seine Freunde in Serbien ein falsches Bild vom Leben in Kosovo. Er will jedenfalls auch in Zukunft hier wohnen. Es gefalle ihm hier, sagt er, er habe einen guten Job, seine Familie und seine Freunde wohnten hier.