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Krieg im Nahen Osten Die Ohnmacht des US-Präsidenten in Nahost

Joe Biden hatte grosse Pläne. Noch am Vorabend des Terrorangriffs der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 schickte sein Sicherheitsberater Jake Sullivan die Rohfassung eines Aufsatzes an das angesehene Magazin «Foreign Affairs».

Amerikanische Geheimdiplomatie hatte die Spannungen mit Iran entschärft. Biden drückte auf eine historische Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien. Als Belohnung für normalisierte Beziehungen zwischen dem Judenstaat und den Hütern von Mekka und Medina boten die USA Saudi-Arabien eine strategische Partnerschaft, inklusive vertiefter Militärzusammenarbeit und zivilen Atomprogrammen.

Die USA wollten mit einem neuen Handelsweg von Indien über die arabische Halbinsel und Israel eine Alternative zu Chinas «Belt and Road»-Initiative aufbauen. Und um dem saudischen Königshaus die Annäherung an Israel leichter zu machen, sollte im Gegenzug endlich ein eigener Staat für die Palästinenser entstehen.

Der Nahe Osten sei ruhiger als je zuvor, schrieb Sullivan. Wenige Tage später musste er sein Skript hastig umschreiben.

Der regionale Krieg

Inzwischen ist klar: Die direkte Konfrontation zwischen Israel und Iran ist Tatsache. Was die USA seit einem Jahr zu verhindern versuchten, ist eingetroffen. Die Israelis sehen den Konflikt bereits seit dem 7. Oktober als regionale Auseinandersetzung, in der Hamas, Hisbollah oder Houthis nur als Stellvertreter Irans fungieren, die Fäden aber in Teheran zusammenlaufen.

Deshalb hörten die Israelis auch nicht auf Bidens Ratschlag an Premier Netanjahu nach dem ersten abgewehrten Angriff Irans auf Israel. «Take the win», riet Biden Netanjahu in dieser Nacht. Nimm den Sieg, und verzichte auf weitere Aktionen. Doch die Israelis hörten nicht auf Bidens Rat. «In unserer Region genügt es nicht, sich nur zu verteidigen», zitiert die «Washington Post» einen hochrangigen israelischen Offiziellen.

Bidens blindes Auge

Die USA mögen zwar Ziele für eine Nahostpolitik formuliert haben, doch sie fanden nie eine funktionierende Strategie, um diese Ziele zu erreichen. «Das ist nicht allein die Schuld der USA», so der amerikanische Nahostexperte Brian Katulis.

«Damit Diplomatie Erfolg haben kann, müssen auch die anderen Akteure Interesse an Diplomatie haben». Und das haben zurzeit weder Netanjahu noch die Hamas, noch hatte es vor dem Tod Nasrallahs die Hisbollah.

Und in Iran steckt das Mullah-Regime in dem selbstverschuldeten Dilemma, dass es zwar keinen Krieg mit Israel will, es sich aber nach seiner hochtrabenden Propaganda nicht leisten kann, seine Stellvertreter-Milizen gänzlich hängenzulassen. «Dass Joe Biden so wenig vorzuweisen hat, gründet zu einem grossen Teil im Verhalten der regionalen Akteure. Aber auch an einer grossen Naivität im Weissen Haus, das die harschen Realitäten im Nahen Osten nicht sehen will», so Katulis.

Der machtlose US-Präsident

Und so schleppte sich der mächtigste Mann der Welt letzte Woche machtlos zum Rednerpult der UNO-Vollversammlung, um der Welt zuzurufen, dass ein umfassender Krieg in niemandes Interesse und eine diplomatische Lösung nach wie vor möglich sei.

Es war das Gegenteil des Bildes, das der israelische Premier drei Tage später an demselben Podium abgab, während dem sich zu Hause die israelischen Bomber bereitmachten, um Nasrallah zu töten. Die Schlussfolgerung von Nahostexperte Katulis: «Wenn du dich nicht um den Nahen Osten kümmerst, kümmert er sich um dich. Und zwar nicht zu deinem Vorteil.»

Pascal Weber

USA-Korrespondent

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Pascal Weber arbeitet seit 1999 für SRF. Als Redaktor und Produzent war er zunächst in der Sportredaktion tätig, danach bei «10vor10». Von 2010 bis 2021 war er als Korrespondent im Nahen Osten. Er lebte zuerst in Tel Aviv, dann lange Jahre in Kairo und Beirut. Nun arbeitet er für SRF in Washington.

HeuteMorgen, 4.10.2024, 06:00 Uhr

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