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Eskalation im Nahen Osten Was folgt nach Irans Raketenangriff auf Israel?

Zum zweiten Mal in diesem Jahr hat Iran Israel direkt angegriffen. Zwar wurde der Angriff grösstenteils abgewehrt, doch Israel droht mit Vergeltung. Antworten auf die drängendsten Fragen.

Wie könnte ein israelischer Gegenschlag aussehen? Die «New York Times» berichtete unter Berufung auf US-Beamte, in einem möglichen Szenario könnte Israel die iranischen Nuklearanlagen angreifen. Insbesondere die Anreicherungsanlagen in Natans, dem Herzstück des iranischen Programms, könnten im Visier stehen. Die Anlage tief unter einem Gebirge im Zentraliran gilt schon lange als mögliches Ziel im Konflikt zwischen der Islamischen Republik und Israel.

Israel: Bennett fordert Zerstörung iranischer Atomanlagen

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Beim iranischen Angriff getroffene Schule in Gedera in Israel.
Legende: Beim iranischen Angriff getroffene Schule in Gedera im Zentralbezirk von Israel. Keystone/EPAAbir Sultan

Nach dem iranischen Raketenangriff auf Israel hat der frühere israelische Ministerpräsident Naftali Bennett die Zerstörung iranischer Atomanlagen gefordert. «Wir müssen jetzt handeln, um das iranische Atomprogramm und seine zentralen Energieanlagen zu zerstören und dieses Terrorregime tödlich zu verletzen», erklärte Bennett auf X. Es gebe nun eine Rechtfertigung für einen solchen Einsatz, fügte er hinzu. «Jetzt, wo Hisbollah und Hamas lahmgelegt sind, ist Iran ungeschützt.»

Iran wird immer wieder vorgeworfen, Atomwaffen entwickeln zu wollen. Das Land beharrt jedoch auf der Darstellung, sein Atomprogramm nur für friedliche Zwecke zu nutzen.

Was sind weitere mögliche Angriffsziele in Iran? Auch Angriffe auf die Infrastruktur der iranischen Öl- und Gasindustrie könnten die Führung des rohstoffreichen Landes empfindlich treffen. Trotz strenger internationaler Sanktionen erzielt die Regierung ihre Haupteinnahmen weiterhin durch den Ölverkauf, wobei China der Hauptabnehmer ist. Experten gehen davon aus, dass auch führende Politiker oder Militärkommandeure selbst mögliche Angriffsziele sein könnten.

«Wird kaum bei symbolischer Antwort Israels bleiben»

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Porträtfoto eines lächelnden Mannes in einem Anzug.
Legende: srf

Philipp Scholkmann, Auslandredaktor von SRF: «Wie es jetzt weitergeht, hängt stark von der israelischen Antwort auf den iranischen Grossangriff ab. Es gibt Stimmen in Israel, die den Moment gekommen glauben, um die Kräfteverhältnisse im Nahen Osten neu zu ordnen. Jetzt, da Iran und seine Verbündeten so angeschlagen sind. Übersetzt heisst das: Das Risiko eines offenen Kriegs mit Iran soll eingegangen werden.

Es wird sich zeigen, wer sich in Israel durchsetzt. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass sich Israel wieder mit einer symbolischen Antwort begnügt – so wie beim letzten Schlagabtausch im April. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sagte bislang nur, Iran habe einen ‹schweren Fehler› begangen und werde den Preis dafür zahlen. Iran droht seinerseits: Wenn Israel antworte, werde die iranische Reaktion noch viel massiver sein.

Iran hat rund 180 Geschosse Richtung Israel abgefeuert. Für Teheran war dieser Angriff eine Gratwanderung. Er war stärker als jener im April, aber er folgte einer ähnlichen Logik: Der Angriff sollte ein Zeichen setzen und war kalkuliert. Iran zielte auf militärische Anlagen und nicht auf blindwütigen Terror mit möglichst vielen zivilen Toten in Israel. Teheran ging es darum, seine Glaubwürdigkeit zu demonstrieren, oder das zumindest zu versuchen. Es ging nicht darum, Israel in einen direkten Krieg zu ziehen. Die Eskalationsspirale wurde dadurch aber trotzdem weiter angetrieben.

Irans relative Zurückhaltung hat auch militärische Gründe: Es verfügt zwar über einen – sehr angeschlagenen – Ring von Milizen in der Region und ein gewaltiges Raketenarsenal. Es verfügt aber nicht über eine schlagkräftige Marine oder Luftwaffe. In einem konventionellen Krieg gegen Israel mit amerikanischer Unterstützung könnte es nicht bestehen.»

Wie gross ist die Schlagkraft der israelischen Armee? Israels militärische Stärke übertrifft diejenige Irans in vielen Bereichen. Die Luftwaffe gilt als eine der modernsten weltweit, mit fortschrittlichen Kampfjets und Drohnentechnologie. Dank der engen militärischen Partnerschaft mit den USA hat Israel Zugang zu modernsten Waffensystemen.

Israels Auslandsgeheimdienst Mossad ist bekannt für seine Spionage- und Sabotageoperationen. Ausserdem gilt es als sicher, dass Israel – obwohl es nie offiziell zugegeben wurde – Atomwaffen besitzt.

Wie gut ist Iran militärisch aufgestellt? Die Islamische Republik verfügt mit mehr als 600'000 aktiven Soldaten und rund 350'000 Reservisten über eine der grössten Armeen im Nahen Osten. In den letzten Jahrzehnten hat das Land erheblich in sein Raketen- und Drohnenarsenal investiert. Beim Angriff auf Israel kamen offenbar erstmals Hyperschallraketen zum Einsatz, die Israel in nur wenigen Minuten erreichen können. Der grösste Schwachpunkt ist Irans Luftwaffe. Die Flotte gilt als stark veraltet und ihre Modernisierung stockt aufgrund der internationalen Sanktionen. Ähnliches gilt für Irans Luftabwehr, die im Falle eines Angriffs Israels mit modernen Kampfflugzeugen deutlich unterlegen wäre.

Welche Rolle spielen die USA? Rückendeckung dürfte Israel von den USA erhalten. Der wichtigste Verbündete hilft dem jüdischen Staat uneingeschränkt bei der Abwehr iranischer Raketen. Zugleich graut es der US-Administration unter Präsident Joe Biden davor, wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in einen flächenbrandartigen Nahost-Krieg hineingezogen zu werden. Bei einem Vergeltungsangriff auf Iran könnte Israel auf amerikanische Hilfe angewiesen sein, sei es in Form von geheimdienstlichen Informationen oder Bereitstellung bunkerbrechender Bomben.

Krieg im Nahen Osten

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Die Konflikte in Israel, im Westjordanland, im Gazastreifen und in Libanon halten an. Hier finden Sie alle unsere Inhalte zum Krieg im Nahen Osten.

Tagesschau, 02.10.2024, 12:45 Uhr ; 

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