Eine Umfrage des unabhängigen «Israel Democracy Institute» in Israel hat gezeigt, dass sich eine Mehrheit – auch unter der Rechten – Neuwahlen wünscht, sobald der Krieg vorbei ist. Warum die meisten Israelis den Krieg aber trotzdem unterstützen, weiss Susanne Brunner.
SRF News: Inwiefern hat der Wunsch nach Neuwahlen mit dem Krieg in Gaza zu tun?
Susanne Brunner: Sehr viel. Zwei Drittel der vom «Israel Democracy Institute» befragten Israelis glauben, Premier Netanjahu und seine Regierung hätten keine Ahnung, was sie nach dem Gaza-Krieg mit Gaza machen wollen, also keinen klaren Plan.
Diejenigen Israelis, die für einen Frieden waren, haben am meisten Opfer zu beklagen und sind am meisten traumatisiert.
Wie stehen die Menschen in Israel nach über zwei Monaten zum Krieg?
Ich habe selbst unter linken Israelis kaum jemanden getroffen, der oder die den Krieg in Gaza ablehnt. Im Gegenteil: Die meisten sehen den Krieg als einzige mögliche Reaktion auf die Massaker der Hamas am 7. Oktober. Je nachdem, wo jemand politisch steht, liegen jedoch die Prioritäten anders, was die Kriegsführung betrifft. Es gibt die direkt Betroffenen und ihre Angehörigen, welche von der Regierung fordern, dass alle Geiseln zurück nach Israel gebracht werden sollen. Diese werden von Tausenden unterstützt, welche jede Woche in erster Linie für dieses Kriegsziel demonstrieren.
Das rechte politische Spektrum will auf keinen Fall eine Waffenruhe und nimmt den Tod weiterer Geiseln in Kauf. Dieses Lager will die Zerschlagung der Hamas in Gaza. Und dann gibt es noch das ultrarechte Lager, das diesen Krieg als Gelegenheit sieht, Gaza zurück zu Israel zu holen, und damit wenigstens dort das «Palästinenserproblem» zu lösen.
Wie wird die internationale Kritik in Israel wahrgenommen?
Die meisten verstehen überhaupt nicht, weshalb es diese Kritik gibt. Solche Kritik ist für sie gleichbedeutend mit einer Unterstützung der Hamas. Oder sie reagieren mit Aussagen wie – die Welt war immer gegen die Jüdinnen und Juden – nun haben wir einen eigenen Staat und müssen niemanden fragen, ob wir uns verteidigen dürfen. Diese Haltung gibt es selbst im Lager der Menschen, die jahrelang für einen Frieden einstanden. Und warum? Weil sich diese Israelis komplett verraten fühlen von den Menschen in Gaza.
Meine Hebräischlehrerin, die aus dem Süden des Landes kommt, wo die Hamas einfiel, hat es so formuliert: «Wir haben Menschen in Gaza jahrelang Arbeit gegeben, in unseren Häusern und Wohnungen. Und dann haben diese Informationen über unsere Familien an die Hamas weitergegeben, damit die Terroristen uns töten und entführen konnten.» Diese Bitterkeit habe ich bei vielen gehört. Denn diese Israelis, die für einen Frieden waren, haben am meisten Opfer zu beklagen und sind am meisten traumatisiert.
Wie wirkt sich der Krieg auf das Zusammenleben zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung in Israel aus?
Es herrscht ein Klima des gegenseitigen Misstrauens und sogar der Angst. Die palästinensischen Israelis trauen sich kaum noch aus ihren Häusern, und wenn, dann reden sie lieber Hebräisch als Arabisch. Beide Seiten machen sich Sorgen, dass ein Zusammenleben nicht mehr möglich sein wird. Die palästinensisch-stämmige Bevölkerung sieht den Krieg in Gaza als einen weiteren Exzess der Besatzungsmacht Israel, die jüdische Bevölkerung sieht sich selbst gar nicht als Besatzungsmacht, sondern gibt der palästinensischen Seite die Schuld am Scheitern sämtlicher Friedensbemühungen.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.