Drei Hunde bewachen das Haus der Familie Tkatschenko. «Hier wohnen drei kleine Kinder» steht auf einem Schild am Gartenzaun. Die Hoffnung war wohl, dass das Grundstück so nicht beschossen wird. Wurde es aber trotzdem mehrfach, mit Raketen, mit Streumunition.
«Kommen Sie rein, draussen ist es kalt», sagt Mutter Margarita Tkatschenko, während sie sich den Schnee von den Schuhen stampft. Das Haus ist im Krieg schwer beschädigt worden. Die Familie hat das Dach notdürftig mit einer Plastikplane repariert, die Fenster sind mit Brettern verrammelt.
Nur noch wir leben hier und ein altes Grossmütterchen ein paar Häuser weiter. Alle andern Nachbarn sind weg.
«In unserer Strasse steht fast kein Haus mehr. Nur noch wir leben hier und ein altes Grossmütterchen ein paar Häuser weiter. Alle andern Nachbarn sind weg», sagt Margarita Tkatschenko, während sie Baby Sonja auf dem Arm hält. In der kleinen Küche der Familie steht eine Bratpfanne mit Kartoffeln auf dem Holzherd.
Normale Schule gibts nicht mehr
Im Zimmer nebenan sitzen der zehnjährige Nikita und die siebenjährige Nika vor einem Handy. Sie haben gerade Fernunterricht. Im kriegszerstörten Städtchen Isjum ist an einen normalen Schulbetrieb nicht zu denken. Die Stadt war von März bis September vergangenen Jahres von den Russen besetzt gewesen. Tkatschenko berichtet von fürchterlichen Szenen aus der Zeit: «Als mein Mann und ich mal ins Zentrum gingen, sahen wir überall Leichen liegen. In einem zerschossenen Auto waren Tote, bei der Brücke lagen Tote.»
Sie glaube, sagt die Mutter dreier Kinder, dass es ein russischer Scharfschütze war, der diese Menschen getötet hat. «Im Herbst dann, eines Tages, sahen wir plötzlich Panzer mit weissen Kreuzen darauf die Strasse entlang fahren. Mein Mann sagte: Das sind unsere, das sind Ukrainer. Die Kinder haben sich so gefreut. Und ich dachte: Nicht umsonst haben wir gewartet all die Monate.»
Die Russen sind nun weg. Die Front liegt rund 75 Kilometer östlich von Isjum. Aber die Folgen des Krieges bleiben allgegenwärtig. «Das Leben ist hart. Es gibt kaum Hilfe», sagt Tkatschenko.
Holz aus dem zerbombten Nachbarhaus
Ihr Mann hat seine Stelle verloren. Er versucht jetzt, als Tagelöhner ein bisschen etwas zu verdienen. Entsprechend knapp ist das Geld. Heizen. Essen. Dinge, die vor dem Krieg selbstverständlich waren, müssen nun erkämpft werden. «Wir müssen mit dem Ofen heizen, aber wir haben kein Brennholz. Deswegen gehen wir ins zerbombte Haus des Nachbarn. Er hat es uns erlaubt, wir können dort alles Holz nehmen, das wir finden.»
Lebensmittel gebe es zwar wieder zu kaufen – aber zu astronomisch hohen Preisen, erzählt Tkatschenko. «Einmal habe ich für die Kinder 6 Bananen geholt für 120 Hryvna. Mein Mann muss dafür einen halben Tag arbeiten.»
«Ich bin hier geboren»
Die ukrainische Armee konnte das Gebiet zwar zurückerobern. Aber die befreiten Bewohner bleiben weitgehend sich selbst überlassen. Das ist zumindest die Erfahrung der Tkatschenkos. Kindergeld etwa hat die Familie noch keines erhalten. Und wenn mal humanitäre Hilfe in die Stadt gelangt, stammt sie meist von privaten Organisationen. Die Behörden hätten wohl anderes zu tun, vermutet Tkatschenko. Es ist Krieg.
Das ist mein Land. Hier sind alle meine Erinnerungen.
Die Familie will jedoch aller Beschwernis zum Trotz in Isjum bleiben. «Schon als die Russen hier waren, habe ich gesagt: Ich gehe nicht weg. Das ist mein Land, ich bin hier geboren, meine Kinder sind hier geboren. Hier sind alle meine Erinnerungen. Ich gehe hier nicht weg», sagt Margarita Tkatschenko.