Mehr als 23 Millionen Tonnen Getreide sind in ukrainischen Häfen blockiert. Getreide, auf das viele sehnsüchtig warten. In der Türkei trafen sich nun der türkische und der russische Aussenminister, um über sichere Getreidekorridore im Schwarzen Meer zu sprechen. Einen Durchbruch hatten Mevlüt Cavusoglu und Sergej Lawrow aber nicht zu verkünden. SRF-Auslandredaktor Philipp Scholkmann erklärt, was es für eine Einigung braucht.
SRF News: Was haben die beiden Aussenminister mitgeteilt?
Philipp Scholkmann: Der türkische Aussenminister Cavusoglu sagte, der UNO-Vorschlag für solch sichere Korridore sei machbar. Er mahnte, die Blockade müsse dringend aufgelöst werden, damit das Getreide auf die Weltmärkte kommen kann. Der russische Aussenminister Lawrow sagte, sein Land sei bereit, solche Transporte zuzulassen – die Schuld für alle Probleme schob er der Ukraine zu. Der gemeinsame Nenner ist, dass die Gespräche auf technischer Ebene weitergehen. Dieser Nenner ist aber kleiner, als sich es viele erhofft hatten.
Wie stellen sich die Parteien einen sicheren Korridor für die Exporte von Getreide vor?
Der Plan sieht vor, dass die Getreidefrachter eskortiert und das Schwarze Meer via die Meerenge am Bosporus verlassen würden – Richtung Mittelmeer und Welthandel. Die türkische Marine würde die Konvois sichern. Voraussetzung ist, dass beide Kriegsparteien das zulassen. Russland müsste seine Seeblockade aufheben und seine Kriegsschiffe dürften nicht intervenieren; die Ukraine müsste die Hafenverteidigung lockern, damit der Schiffsverkehr wieder möglich wird. Konkret müsste sie einige ihrer Seeminen räumen, die sie zum Beispiel vor Odessa im Meer verlegt hat.
Wenn die Ukraine ihre Minen vor der Hafenstadt Odessa räumen müsste – wer könnte garantieren, dass Russland dies nicht ausnützt und Odessa vom Meer her einnimmt?
Das scheint einer der springenden Punkte zu sein. Lawrow sagte an der Medienkonferenz, Russland gebe das Versprechen, dass es eine solche Schwächung des Verteidigungsrings von Odessa nicht ausnutzen werde. Er habe das Wort von Präsident Putin dafür. Die Ukraine aber traut dem Wort Putins nicht und verlangt konkrete Sicherheitsgarantien. Wie die aussehen könnten, scheint derzeit völlig offen.
Russland formuliert seinerseits Bedingungen. Es will, dass einzelne Sanktionen gelockert werden und dass auf den Getreidefrachtern keine Waffen in die Ukraine geschmuggelt werden können. Russland möchte das selber auf jedem Schiff kontrollieren, was die Ukraine wiederum zurückweist. Zentrale Punkte sind also noch offen. Technische Gespräche alleine reichen da nicht – es geht ums Grundsätzliche.
Warum übernimmt eigentlich die Türkei diese Vermittlerrolle?
Der Konflikt spielt sich vor der Haustüre der Türkei ab. Sie ist die Macht mit dem längsten Anteil Schwarzmeerküste, der ganze Südteil des Meeres ist türkisch. Sie ist zudem die Wächterin über den Zugang zum Meer, den Bosporus. Was hier geschieht, berührt also unmittelbare Sicherheitsinteressen – und da will man mitreden. Die Türkei behält auch zu beiden Kriegsparteien einen Draht.
Sie unterhält Wirtschaftsbeziehungen zur Ukraine, so weit das noch möglich ist. Und sie liefert in beschränktem Umfang Kampfdrohnen an Kiew. Gleichzeitig ist sie aber nicht bereit, mit Putin zu brechen. Die Türkei trägt die westlichen Sanktionen nicht mit und unterhält stattdessen eine funktionierende, wenn auch komplizierte Beziehung zu Putin. In Ankara hofft man, darauf aufbauen zu können.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.