Die Leute, die Russlands Verbrechen protokollieren, sitzen in einem Kiewer Hinterhof. Es sind einfache Räume, in denen das «Zentrum für bürgerliche Freiheiten» seine Büros hat.
An diesem Abend ist nur noch Menschenrechtsexperte Wolodimir Javorski da. Er erklärt, wie die Organisation funktioniert: «Wir arbeiten in verschiedenen Bereichen. Vor dem Krieg haben wir uns vor allem dafür eingesetzt, die Menschenrechte in der Ukraine selbst zu stärken. Seit dem russischen Grossangriff stehen aber viele Projekte still.»
Alle Kräfte würden nun auf den Krieg konzentriert, so Javorski weiter: «Wir sammeln Beweise für Kriegsverbrechen und geben diese in eine Datenbank ein. Wir fahren ins Land hinaus und befragen Leute, verfolgen aber auch die Medienberichte.»
Die Anklagepunkte
Javorski ist Jurist. Er denkt strukturiert – auch Kriegsverbrechen hat er in drei Kategorien eingeteilt: Erstens sei Russlands militärische Aggression gegen die Ukraine an sich schon ein Kriegsverbrechen. Zweitens verletze Russland die Regeln der Kriegsführung, wenn etwa ukrainische Kriegsgefangene erschossen würden. Und drittens verübt Russland Verbrechen gegen Zivilisten – Entführungen, Folter, Morde, aber auch das Beschiessen von ziviler Infrastruktur.
Wir arbeiten für die Zukunft. Putin ist nicht auf ewig Präsident.
«Ziel ist es, dass diese Verbrechen vor Gericht kommen, vor den Internationalen Strafgerichtshof, vor ein Russland-Sondertribunal sowie vor ukrainische Gerichte», so der Jurist. Die Verantwortlichen sollen bestraft werden – vom einfachen Soldaten, der eine Zivilistin vergewaltigte, bis hin zum russischen Präsidenten, der den Angriffsbefehl gab.
Putin vor Gericht: Ist das nicht unrealistisch? Immerhin ist er Präsident einer Atommacht. Klar erscheine das im Moment vielen Menschen gar nicht möglich, räumt Javorski ein und betont zugleich: «Wir arbeiten für die Zukunft. Und wer weiss, was in Russland alles passiert? Putin ist nicht auf ewig Präsident.»
Der Friedensnobelpreis
Das «Zentrum für bürgerliche Freiheiten» gibt es seit 2007. Schon während der Maidan-Revolution setzten sich die Aktivisten für Opfer willkürlicher Gewalt ein. Jetzt hat ihre Organisation im Oktober den Friedensnobelpreis bekommen.
In der Ukraine löste das nach der Bekanntgabe eine Kontroverse aus. Dass gleichzeitig Menschenrechtler aus Russland und Belarus geehrt wurden, fanden angesichts der russischen Aggression viele unpassend.
Javorski sieht das anders: «Wir haben kein Problem damit, denn die Menschenrechtler in Belarus und Russland kämpfen für dasselbe wie wir: Wir kämpfen für die Freiheit unserer Länder.»