Die ukrainische Kleinstadt Soledar ist schwer umkämpft, so viel scheint klar. Ansonsten aber gibt es widersprüchliche Meldungen. Die Stadt sei unter russischer Kontrolle, hiess es etwa vom Chef der russischen Wagner-Söldner. Die Ukraine dementierte: Soledar sei und werde immer ukrainisch sein. Auslandredaktor David Nauer über die Kämpfe im Osten des Landes – und ihre Bedeutung für den weiteren Kriegsverlauf.
SRF News: Was ist bekannt über die aktuelle Situation in Soledar?
David Nauer: Es gibt schwere Kämpfe. Das sagen beiden Seiten. Die Russen haben offenbar erfolgreich vorstossen können, ein Video zeigt Kämpfer der russischen Söldnertruppe Wagner im Zentrum von Soledar. Dazu kommen Erfolgsmeldungen aus Moskau: Die Stadt sei ganz unter russischer Kontrolle und verbliebene Ukrainer eingekesselt. Die Ukrainer bestreiten diese Darstellung. Es gibt auch ein aktuelles Video einer ukrainischen Einheit aus Soledar. Da sagt ein Soldat, man kämpfe weiter, man sei auch nicht eingekesselt, die Verteidigungslinien würden halten.
Diese unterschiedlichen Darstellungen müssen sich nicht unbedingt widersprechen. Die Stadt ist wohl zu einer grossen «grauen Zone» geworden. Zu einem Gebiet, das weder die eine noch die andere Seite wirklich kontrolliert, wo um jedes Haus gekämpft wird. Klar scheint mir aber: Die Russen sind eher in der Offensive, die Ukrainer müssen verteidigen, zum Teil zurückweichen.
Was heisst das für die Kriegsparteien, wenn Soledar fällt?
Für die Russen wäre das ein grosser symbolischer Erfolg. Es wäre die erste geglückte Offensive seit dem vergangenen Sommer. Für die Ukrainer wäre der Fall Soledars ein schwerer Dämpfer – und auch strategisch ein Problem, weil dann die Verteidigung der deutlich grösseren Stadt Bachmut erschwert werden würde.
Bachmut liegt nur wenige Kilometer von Soledar entfernt und ist ebenfalls seit Monaten schwer umkämpft. Die Russen wollen die Stadt unbedingt einnehmen, um von dort weiter in den Donbass vorstossen zu können, also in jenes Gebiet, das Russland für sich beansprucht.
Lange war die Ukraine auf dem Vormarsch, hat weite Gebiete von Russland zurückerobert. Nun hat man das Gefühl, dass eher russische Truppen Erfolge vermelden.
Es hat sich tatsächlich etwas verändert. Die Russen sind jetzt in der Offensive, die Ukraine müssen verteidigen. Im Sommer und Herbst gab es eine andere Dynamik.
Die russische Strategie, mit der Masse den Gegner niederzuringen, scheint gewisse Erfolge zu zeigen.
Was bedeutet das für den Kriegsverlauf?
Das ist schwer zu sagen. Einerseits sehen wir, dass Russland doch noch Offensivkapazitäten hat – gerade weil jetzt Wagner-Truppen eingesetzt werden und der Kreml hunderttausende Mann mobilisiert hat. Die russische Strategie, mit der Masse den Gegner niederzuringen, scheint gewisse Erfolge zu zeigen.
Andererseits ist unklar, wie nachhaltig dieses russische Vorgehen ist. Wie man hört, erleiden die Russen enorme Verluste. Moskau versucht seit Monaten, Soledar und Bachmut einzunehmen und erst jetzt ist etwas Bewegung in diese Front gekommen. Es werden Unmengen an Menschen und Material geopfert für letztlich kleinere militärische Fortschritte, ein paar Kilometer Geländegewinn.
Aus einer einzelnen gewonnenen oder verlorenen Schlacht lässt sich wenig über die Zukunft herauslesen.
Dazu kommt: Die Ukraine erhält noch einmal kräftig Militärhilfe aus dem Westen. Amerikaner, Franzosen und die Deutschen schicken Panzer in grösserer Zahl. Das könnte die Dynamik auf dem Schlachtfeld noch einmal drehen. Es gibt viele Faktoren, die den Krieg beeinflussen. Aus einer einzelnen gewonnenen oder verlorenen Schlacht lässt sich wenig über die Zukunft herauslesen.
Das Gespräch führte Christine Scheidegger.