Bulgarien, das kleine Land in Europas Südosten, kam für einmal gross heraus, zumindest in der Medienwelt: «Bulgarien, das Land, das heimlich die Ukraine rettete.» Das war die Schlagzeile in der deutschen Zeitung «Welt».
Dahinter steckt die Geschichte heimlicher Waffenlieferungen: Letztes Jahr liess die bulgarische Regierung viel Munition nach Polen und Rumänien schicken. Von dort ging sie indirekt, so war es von Anfang an geplant, an die Ukraine – also versteckt. Denn grosse Teile der bulgarischen Politik wollen der Ukraine nicht mit Waffen helfen, weil sie die Bindung zu Russland nicht kappen wollen. Eine Bindung, die schon geknüpft wurden, als die Russen Bulgarien von den Türken befreiten.
«Die ganze Welt rüstet auf»
Die «Welt»-Schlagzeile ist wohl zu dick aufgetragen. Aber Bulgarien kann tatsächlich einiges tun für die Ukraine. Es hat eine grosse Waffenindustrie und produziert nach sowjetischen Standards. Genau das braucht die Ukraine.
Aber die Regierung vom letzten Jahr zerbrach. Als Teil einer Übergangsregierung ist jetzt Nikola Stoyanov temporär Wirtschaftsminister und damit verantwortlich für die Waffenindustrie.
Alles, was wir der Ukraine geben konnten, haben wir bereits gegeben.
Er sagt: «Alles, was wir der Ukraine geben konnten, haben wir bereits gegeben.» Zudem wisse er nichts von Abmachungen über Waffenlieferungen. Bulgarien habe keine Munition für die Ukraine produziert, seit er im Amt sei.
Geholfen habe man nur mit Militärgütern, die Bulgarien nicht brauche. «Was unsere Waffenindustrie produziert, geht nicht an die Ukraine.» Das geht in etwa 50 andere Länder. Die ganze Welt rüste im Moment auf, deswegen laufe es so gut in den bulgarischen Waffenfabriken.
Steckt Russland hinter Bränden?
Die Frage bleibt: Nimmt Bulgarien zu viel Rücksicht auf Russland? «Politisch vielleicht», sagt Wirtschaftsminister Stoyanov. «Aber ich bin kein Politiker. Traditionell ist hier Russland – oder war hier Russland – immer stark präsent.»
Jetzt bewegt sich Bulgarien auf vielen Wegen Richtung Westen. Beim Strom und Gas hat es sich diesen Winter unabhängig von Russland gemacht. Der Bereich Öl soll folgen.
Traditionell ist hier Russland – oder war hier Russland – immer stark präsent.
Zudem will das Land mit Europas Hilfe westliche Waffen und Munition herstellen und umstellen auf die Standards des westlichen Verteidigungsbündnisses Nato. Dabei dürfte die Europäische Union mit viel Geld helfen. Und: Bulgarien schickt wohl weiterhin über andere Länder Waffen in die Ukraine, auch wenn der Minister das nicht bestätigt.
Russland gefällt Bulgariens Westbewegung mutmasslich nicht. Immer wieder brennen in Bulgarien Waffendepots, letztes Jahr zerstörte ein Feuer im Innenministerium Akten dazu. Natürlich gibt es den Verdacht, Russland stecke dahinter. Die bulgarische Justiz scheint aber bis jetzt nicht ernsthaft zu ermitteln.
Besuch in der Stadt der Waffen
In Sopot, am Fusse des Balkangebirges, leben 10'000 Menschen, etwa 6000 arbeiten für die staatliche Waffenfabrik. Man ist verschwiegen. Der Zutritt hinter das beflaggte Eingangstor ist nicht gestattet.
Fabrikbusse nehmen ständig Menschen mit und spucken andere aus. Eine Frau sitzt an der Haltestelle: «Ich weiss, dass die Angestellten der Waffenfabrik zu Ostern praktisch einen zusätzlichen Monatslohn geschenkt bekommen. Es geht vielen hier heute besser.»
Im Café nebenan ist das Rauchen verboten. Ein Mann darin tut es trotzdem. Er trägt Uniform und bewacht die Waffenfabrik. «Meine Schicht beginnt gleich. Ich arbeite seit zwei Jahren dort, mein Lohn wurde in dieser Zeit verdoppelt.» Weil die Geschäfte dank des Krieges in der Ukraine so gut laufen? Darüber wisse er nichts. Der Mann hat Schweigepflicht, wie alle, er könnte seinen Job verlieren, wenn er zu viel erzählt.
Szene aus einem zerrissenen Land
In einem kleinen Laden redet eine Frau dann doch – nachdem sie sicher ist, dass keine Kamera dabei ist. «Die Löhne wurden nur wegen des Kriegs in der Ukraine erhöht.» Nur deshalb laufe das Geschäft, niemand sonst brauche so viel sowjetische Munition.
Sie sei eigentlich pensioniert, man habe sie aber zurückgeholt, die Fabrik brauche dringend Personal. «Für mich sind diese Lieferungen nicht richtig. Ich will keinen Krieg.» Die USA steckten hinter all dem, sie habe Gewissensbisse und würde sofort aufhören zu arbeiten, wenn sie damit den Krieg stoppen könnte. «Aber ich will ja nicht verhungern.» Ihre 500 Franken Rente pro Monat reichen nicht.
Draussen fragen wir zwei Jugendliche, ob die Waffenindustrie ihrer Stadt guttue. «Ja», sagt der eine, «Nein» der andere. Szene aus einem hin- und hergerissenen Land.