Normalerweise spielen im Torwar Rockbands oder Volleyballerinnen. Doch die Normalität ist aus der grossen Mehrzweckhalle im Zentrum von Warschau ausgezogen. Die 4806 pinken Plastiksessel auf der Zuschauertribüne sind frei. Besetzt sind hingegen die meisten der 500 Betten unten in der Halle.
Der Torwar ist seit Anfang Monat ein Aufnahmezentrum für ukrainische Flüchtlinge. «Es gibt gratis Essen, medizinische Hilfe, psychologische Hilfe», sagt die Stimme aus dem Lautsprecher, «zögern Sie nicht, zu fragen.»
Verantwortlich für die Organisation ist Malgorzata Naporowska. «Für den Moment kommen wir zurecht», sagt sie. «Aber wenn der Krieg noch lang dauert, kann es schwierig werden.» Die Zahl jener, die hier ein Bett brauchen, habe deutlich zugenommen, seit das Zentrum vor drei Wochen eröffnet wurde.
Nach den ersten russischen Angriffen kamen vor allem Ukrainerinnen, die Verwandte oder Freunde hatten in Warschau. Jetzt kommen Leute, die ausserhalb ihrer Heimat niemanden kennen.
«Ich weiss nicht, wo meine Familie ist»
Ania Priechala aus dem nordukrainischen Tschernihiw zum Beispiel. Sie sitzt in der improvisierten Cafeteria des Aufnahmezentrums. «Ich bin alleine hier. Ich weiss nicht, wo meine Familie ist», sagt sie.
Sie sei vor zehn Tagen in einen Bus des Roten Kreuzes gestiegen, der sie aus ihrer von den Russen umzingelten Stadt evakuiert habe. Seither habe sie keine Nachrichten mehr von ihrer Mutter und ihrem Bruder.
Anias Geschichte gleicht jener von Jelena zwei Tische weiter. Jener von Tatiana hinter ihr. Und jener von Ruslana beim Eingang. Von den vier Frauen wollen drei bis auf Weiteres in Warschau bleiben.
Flüchtlingsstrom ist herausfordernd
Das beschäftigt in seinem Büro in einem Warschauer Stadtpalast auch Konstanty Radziwill. Als Wojwode ist er der höchste Vertreter der Zentralregierung in der Region, zu der die polnische Hauptstadt gehört. «Wer Hilfe braucht, bekommt sie», verspricht er. Aber der wachsende Zustrom an Flüchtlingen sei eine immer grössere Herausforderung.
Radziwill geht davon aus, dass viele der Flüchtlinge länger bleiben werden. Dass sie Wohnungen brauchen, ihre Kinder hier zur Schule gehen, sie medizinisch versorgt werden müssen.
Finanzielle Unterstützung – und darüber hinaus
Bei jetzt schon mehr als 300'000 Ukraine-Flüchtlingen alleine in Warschau ist das ein gewaltiges und kostspieliges Unterfangen. Und eines, bei dem Polen von anderen Ländern bislang zu wenig unterstützt werde, findet der Wojwode. «Wir erwarten mehr Solidarität, und zwar in Euros oder Dollars.»
Rafal Trzaskowski, der Stadtpräsident von Warschau, hat in der britischen BBC mehr als Geld gefordert. Es brauche ein internationales System, das die Flüchtlinge aus der Ukraine auf verschiedene Länder aufteile. Genau so ein System lehnte die nationalkonservative polnische Regierung ab, als es 2015 um muslimische und afrikanische Flüchtlinge ging, die im Süden Europas ankamen.
Auch jetzt sagt Radziwill, der auch zu den Nationalkonservativen gehört, jeder und jede müsse selbst entscheiden können, wo er oder sie hingehe. Allerdings wünscht sich auch er, dass mehr Ukrainerinnen und Ukrainer in kleinere Städte ziehen, dass Warschau entlastet wird.
Schon im Torwar, im Aufnahmezentrum, versuchen sie, Flüchtlinge für andere polnische Regionen zu interessieren. Aber überzeugen liessen sich die wenigsten.
Auch Ania, Tatiana und Ruslana wollen nicht woanders hin in Polen. Sie wollen zurück in die Ukraine. So rasch als möglich. Und das sei von Warschau aus am einfachsten.