Es läuft gerade ziemlich viel schief bei der Schottischen Nationalpartei. Doch am meisten irritiert die Öffentlichkeit wohl das Zelt. Vor wenigen Tagen errichtete die schottische Polizei ein forensisches Tatort-Zelt. Ausgerechnet im Vorgarten von Nicola Sturgeon. Jener Frau, welche die Partei in den vergangenen neun Jahren so eloquent wie erfolgreich geführt hatte.
Sie war mit dem Wunsch zurückgetreten, wieder mehr Privatsphäre zu haben. Diese lässt im Moment aber noch auf sich warten. Vor den Augen der schottischen Öffentlichkeit untersuchten Polizisten in diesen Tagen selbst ihren Gartengrill. Ihr Ehemann Peter Murell, der frühere Parteichef der SNP, wurde abgeführt und während zehn Stunden von der Polizei befragt.
Behörden suchen nach einer halben Million Franken
Zum laufenden Verfahren gibt diese keine Auskunft. Bekannt ist jedoch, dass in der Parteikasse ein unerklärliches Loch klafft und die Behörden auf der Suche nach dem Verbleib von rund einer halben Million Franken sind. Die Sache sei für sie ziemlich traumatisch, sagte gestern Nicola Sturgeon im Rahmen einer improvisierten Pressekonferenz, an jener Stelle in ihrem Vorgarten in Glasgow, wo Stunden zuvor noch das ominöse Zelt stand. Zu einer laufenden Untersuchung möchte aber auch sie nicht Stellung nehmen.
Traumatisch ist die Angelegenheit nicht nur für Sturgeon, sondern insbesondere auch für Ihre Partei. Gewissermassen in Zeitlupe kann man in diesen Wochen beobachten, wie sich eine einst erfolgreiche Partei öffentlich in ihre Einzelteile zerlegt. Während Jahren hatte die Schottische Nationalpartei unbestritten das Sagen. Bei Wahlen stellte sie Labour und die Konservativen konsequent in den Schatten. Schottland in die Unabhängigkeit zu führen, war das Erfolgsprogramm. Souverän führte Sturgeon Schottland auch durch die Pandemie.
Kam Sturgeons Rücktritt wirklich überraschend?
Doch dann begann der Abstieg: Das Oberste britische Gericht verbot Sturgeon, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum durchzuführen. Die nächsten Parlamentswahlen kurzerhand zum Referendum zu erklären, erwies sich als Hirngespinst. Der Traum von der Unabhängigkeit erwies sich so immer mehr als politische Sackgasse.
Nach dem überraschenden Rücktritt von Sturgeon entbrannte dann ein kurzer, aber selbstzerfleischender Nachfolgekampf. Dabei zeigte sich, dass hinter der dominanten Figur von Sturgeon offenbar wenig Raum für Debatten blieb und schon gar nicht für den Aufbau einer Nachfolge. Politische Gegnerinnen und Gegner fragen sich mittlerweile, ob der Rücktritt von Sturgeon allenfalls gar nicht so überraschend war. Wusste sie von der bevorstehenden Hausdurchsuchung? Wurde sie sogar gewarnt? Antworten auf diese Fragen wird es wohl erst in den kommenden Wochen geben.
In einer eher unbequemen Lage befindet sich bis dann ihr Nachfolger Humza Yousaf. Er wurde den Parteimitgliedern als Mann der Kontinuität verkauft. Mittlerweile in der SNP nicht mehr unbedingt eine wünschenswerte Eigenschaft.
Im Wahlkampf hat der neue schottische Regierungschef seine Partei als grosses Zelt beschrieben. Ein Ort, wo alle willkommen sind. Wahrscheinlich meinte er damit nicht unbedingt ein Tatort-Zelt.