Erstmals seit fast drei Jahren fanden diese Woche kommerzielle Flüge zwischen Venezuela und dem Nachbarland Kolumbien statt. Der linke Präsident Nicolas Maduro scheint von der international geächteten «persona non grata» wieder zu einem möglichen Partner zu werden, auch für westliche Staaten. Dieses neue Miteinander habe auch mit dem Bedarf des Westens nach Rohöl zu tun, sagt Lateinamerika-Experte Günther Maihold.
SRF News: Was sind die Gründe für das Tauwetter?
Günther Maihold: Einerseits haben sich in der Region Veränderungen ergeben. Der neu gewählte kolumbianische Präsident Gustavo Petro hat einen Friedensprozess mit der zweiten Guerillagruppe seines Landes angefangen, die auch in Venezuela operiert, und sich deswegen darum bemüht, die diplomatischen Beziehungen zu Venezuela wieder aufzunehmen.
Der internationale Rohstoffkampf und das Interesse am venezolanischen Öl haben sich verstärkt.
Andererseits haben sich der internationale Rohstoffkampf und das Interesse am venezolanischen Öl verstärkt. Alle interessierten Nationen versuchen, mit Venezuela ins Geschäft zu kommen.
Gibt es Gespräche zwischen Staaten, die das neue Miteinander zeigen?
Man hat eine Entspannung der Beziehungen zu den USA gesehen. Insbesondere scheinen die USA auch bereit zu sein, die eingefrorenen Guthaben Venezuelas freizugeben für eine Erleichterung der humanitären Situation. Zudem hat man Gefangene ausgetauscht.
Das Tauwetter zeigt sich auch wirtschaftlich. Die UNO prognostiziert Venezuela 5 Prozent Wachstum, während andernorts die Wirtschaft schrumpft. Was ist in Venezuela anders?
Zum einen führt der gestiegene Ölpreis zu einem erheblichen Zufluss an Devisen. Zum anderen ist zu erkennen, dass Venezuela sich bemüht, die bisher stark restriktive Politik gegenüber privatwirtschaftlichem Engagement zu lockern.
Wir müssen davon ausgehen, dass die wirtschaftliche Lage weiterhin sehr prekär ist.
Was merken die Menschen von den Erleichterungen?
Das sind nur sehr kleine Schritte. Wir müssen davon ausgehen, dass die wirtschaftliche Lage weiterhin sehr prekär ist. Venezuela hat bis zu 30 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in der Wirtschaftskrise der letzten sieben Jahre verloren. Bei solchen Verbesserungen findet immer eine Verteilung statt. Bevölkerungsteile, die davon besonders profitieren, sind diejenigen, die sehr nahe am Regime sind.
Und trotzdem münzt sich das bis zu einem gewissen Grad in politischer Unterstützung für die Maduro-Regierung um?
Ich würde eher von einer Erschöpfungssituation der Bevölkerung gegenüber allen politischen Lagern sprechen. Das gilt auch für führende Oppositionspolitiker. Von der Politik erwartet man jetzt keine durchgängige Verbesserung.
Ist die Opposition also verschwunden?
Es gibt weiterhin Opposition. Wir haben ja im Jahr 2024 Präsidentschaftswahlen. Dafür versucht die Opposition jetzt, interne Vorwahlen zu organisieren. Es gibt weiterhin Druck der Regierung auf Oppositionspolitiker, die etwa im Gefängnis sitzen. Und die Opposition selber ist intern sehr gespalten. Das macht es der Regierung sehr einfach, den Spaltpilz in die Oppositionslager zu treiben.
Die Hoffnung westlicher Staaten, dass Maduro aus dem Amt geputscht wird, erfüllt sich also nicht?
Die erwarteten Fissuren innerhalb des Regierungsblocks – der Regierungspartei und der stützenden Militärs – sind, soweit man sehen kann, nicht eingetreten. Dies ist eine Beutegemeinschaft, die sich daran bereichert, an den Ressourcen des Staates. Wenn es zu einer Transition im politischen Machtgefüge kommen würde, würde sie sicherlich unter Anklage stehen wegen massiver Korruption und Bereicherung. Und das schweisst diesen Block zusammen.