Während in Grossbritannien um die Queen getrauert wird, werde die verstorbene Königin und die Monarchie an sich auch kritisiert, vor allem in ehemaligen Kolonien wie beispielsweise in Kenia, sagt der Experte für Kolonialgeschichte Jürgen Zimmerer. Er erklärt die Zusammenhänge.
SRF News: Haben sich die kritischen Stimmen seit dem Tod der Queen verändert?
Jürgen Zimmerer: Man tut sich und der Monarchie in Grossbritannien keinen Gefallen, wenn man sagt, da war die Königin, bei der alles perfekt war. Das entscheidende Charakteristikum dieser Regentschaft war das Empire und der Kolonialismus. Zwar wurde sie Königin, als das Empire schon am Abnehmen war, aber noch existierte.
Die Queen hat es, obwohl sie dieses Empire repräsentierte, nicht geschafft, sich öffentlich von der kolonialen Geschichte zu distanzieren.
Sie bekannte sich zu diesem Empire, aber nun ist Grossbritannien, von wenigen Überseeterritorien abgesehen, eine europäische Mittelmacht, die sich auch noch von Europa abkehrt. Dieser Wechsel vom Empire zum Normalmass ist eigentlich das zweite elisabethanische Zeitalter. Interessant ist: Charles III. ist der erste britische König seit 400 Jahren, der nicht ein Empire regiert, sondern einen europäischen Mittelstaat.
Was wird Grossbritannien zum Beispiel von Kenia vorgeworfen?
Nach dem Zweiten Weltkrieg löste sich das britische Empire auf. In den 40er-Jahren erlangte mit Pakistan und Indien ein grosses Kernstück des Empire die Unabhängigkeit. Unabhängigkeitsbewegungen gewannen auch in anderen Kolonien an Bedeutung. Gerade in Malaysia und in Kenia kam es zu Widerstandsbewegungen, die von britischer Seite über Jahre blutig niedergeschlagen wurden.
Queen Elizabeth hatte 15 Premierminister lang Zeit, ihren Punkt zu machen.
In Kenia war es die Mau-Mau-Bewegung. Die britische Armee ging brutal gegen die Angehörigen vor und sperrte sie in Lager. Man weiss, dass es zu Folterungen, Tötungen und gröbsten Menschenrechtsverletzungen kam, die vor britischen Gerichten teilweise anerkannt wurden. Opfer dieser Politik haben Wiedergutmachungszahlungen in London erstritten. Auch das war zu Lebzeiten der Queen. Sie hat es, obwohl sie dieses Empire repräsentierte, nicht geschafft, sich öffentlich von der kolonialen Geschichte zu distanzieren.
Inwiefern hat der Reichtum der Royal Family etwas damit zu tun?
Ein substanzieller Teil dieses Reichtums, der auf 28 Milliarden Pfund geschätzt wird, ist im Zusammenhang mit Versklavung, Seehandel, kolonialer Ausbeutung oder kolonialen Geschäften erwirtschaftet worden. Das heisst, auch als Privatpersonen profitierten die Mitglieder des Königshauses vom Empire, vom Kolonialismus.
Sie hat die Neutralität zur Kunst erhoben, niemandem auf die Füsse zu treten.
Und auch als Privatperson hat die Queen es versäumt, ein Zeichen zu setzen und zum Beispiel die Hälfte ihres Vermögens in eine Stiftung zu überführen, die Stipendien für Studierende aus ehemaligen Kolonien auszahlen könnte.
War es denn nicht die britische Regierung, die für die schlimmen Dinge verantwortlich war?
Ja, die unmittelbare Verantwortung trägt die britische Politik. Queen Elizabeth II. hatte 15 Premierminister lang Zeit, ihren Punkt zu machen. Wenn sie angekündigt hätte, «lieber Premierminister X, ich bin willens, dieses koloniale Unrecht anzugehen. Ich werde in einem halben Jahr erklären, dass ich die Hälfte meines Vermögens zur Verfügung stelle», dann hätte kein Premierminister widersprechen können.
Sie war ja nicht unpolitisch. Sie hat die Neutralität zur Kunst erhoben, niemandem auf die Füsse zu treten. Das ist ein historisches Versagen angesichts der kolonialen Debatte, von der ihr Familienverband ganz persönlich profitierte und profitiert.
Das Gespräch führte Dominik Brand.