Weltweit halten sich Regierungen und Organisationen an die Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken, welche 2016 verabschiedet wurde.
Doch weil diese sogenannte IHRA-Definition vielen zu unpräzise ist, haben jetzt mehr als 200 – vor allem jüdische – Fachleute aus der Wissenschaft sowie Autorinnen und Autoren eine neue Definition unterschrieben.
Denn: Klar antisemitisch sind Beschimpfungen gegen Juden oder Angriffe auf jüdische Menschen oder Organisationen – wenn sie bloss deshalb geschehen, weil diese jüdisch sind.
Doch jetzt versucht die neue «Jerusalemer Deklaration» die Frage zu klären, wie weit Kritik am jüdischen Staat und an der Politik Israels geübt werden darf, ohne dass dies als Antisemitismus empfunden wird.
Kritik an israelischer Siedlungspolitik
Die Frage, wann solche Kritik antisemitisch ist, wurde durch die BDS-Bewegung aktuell. BDS steht für «Boycott, Divestment and Sanction». Ihre Anhänger kritisieren die israelische Palästina- und Siedlungspolitik und rufen zum Boykott und zu Sanktionen gegen Israel auf.
Vor zwei Jahren reagierte der Deutsche Bundestag. Er stützte sich auf die IHRA-Definition, ergänzte sie und erklärte die BDS als antisemitisch.
«Das führt zur absurden Situation, dass unter anderem auch jüdische Stimmen als antisemitisch verurteilt werden», sagt Monique Eckmann. Sie ist emeritierte Professorin der Fachhochschule Genf, selber Jüdin und arbeitete an der ursprünglichen IHRA-Definition zum Antisemitismus mit.
Legitime Kritik muss möglich sein
BDS sei eine sehr vielfältige Bewegung, betont sie. Sicher gehörten dazu auch Bewegungen, die antisemitisch motiviert seien – andererseits aber auch solche, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzen. «Und sich für die Rechte der Palästinenser einzusetzen, ist nicht per se antisemitisch», so Eckmann.
Vergleichen bedeutet abwägen. Das ist nicht per se antisemitisch.
Sie nennt gleich ein weiteres Beispiel, das die Unschärfe der IHRA-Definition aufzeigt. So schreibt diese vor, man dürfe die aktuelle israelische Politik nicht mit der Politik der Nationalsozialisten vergleichen. Das aber sei Unsinn.
«Vergleichen bedeutet abwägen. Das ist nicht per se antisemitisch. Gleichsetzen dagegen ist antisemitisch», betont Eckmann. Deshalb müsse ein Unterschied zwischen vergleichen und gleichsetzen gemacht werden.
Das Ziel der neuen «Jerusalemer Erklärung» ist es denn auch, solchen absurden Situationen entgegenzutreten. Unschärfen sollen behoben werden und die Definition von Antisemitismus neuen Entwicklungen angepasst werden.
Auch Professorin Eckmann hätte die Erklärung unterschrieben, wenn sie angefragt worden wäre, wie sie selber sagt. Schliesslich bezeichnet sie sich als «kritische Jüdin».
Kritik aus Berlin
Doch es gibt auch vehemente Gegner der Jerusalemer Erklärung. Zu ihnen gehört die Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel aus Berlin. Sie wollte sich gegenüber SRF allerdings nur schriftlich äussern und schreibt von einem «Sturm im Teeglas».
Die Erklärung ignoriere das breite Spektrum des momentanen Antisemitismus, so Schwarz-Friesel. «Sie bringt ausschliesslich das palästinensische Narrativ zum Ausdruck und ist keine wissenschaftliche Definition, sondern eine politische Manifestation.»