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Kritische Entwicklung Zehntausende Satelliten im All beunruhigen gar die Nasa

Im Monatstakt werden Satelliten ins All befördert. Sie sollen überall schnelles Internet ermöglichen. Und verursachen Weltraumschrott.

Internetleitungen zu verlegen und Mobilfunkantennen zu betreiben, ist teuer und nicht immer einfach. Schon gar nicht in abgelegenen Regionen oder in wenig entwickelten Staaten. Satelliten umgehen diese Probleme.

Die Firma OneWeb hat entsprechend Grosses vor: Insgesamt 650 Satelliten sollen ein weltumspannendes Netz bilden. Mit den 24 Satelliten, die am Dienstag dazu kommen, steht die Hälfte dieses Netzes. Das Ziel ist, allen Menschen Zugang zum Internet verschaffen, so Sunil Bharti Mittal, der Verwaltungsratspräsident von OneWeb: «Eine Milliarde Menschen hat noch gar kein Internet – viele Unternehmen haben keine schnellen Verbindungen.»

Allerdings ist OneWeb nicht das einzige Unternehmen, das Internet aus dem All anbietet. Gleiches verfolgt die amerikanische Firma Starlink, die Tesla-Chef Elon Musk gehört. Nur sind seine Pläne noch umfangreicher. Er will ein Netz mit bis zu 12'000 Satelliten aufbauen.

Über 1600 Starlink-Satelliten sind bereits im Weltraum. Weitere 51 sind in der Nacht auf Dienstag hinzugekommen. Und auch andere private Anbieter wollen Satellitendienste anbieten, darunter Schwergewichte wie der Technologiekonzern Amazon.

Der Schweizer Astrophysiker Thomas Zurbuchen lebt seit Jahren in den USA und ist heute bei der Nasa für das wissenschaftliche Programm verantwortlich. Er betrachtet die aktuelle Entwicklung kritisch: «Das Problem ist, dass der Orbit kommerzialisiert ist. Zehntausende Satelliten gehen dorthin. Plötzlich steht der Orbit für niemanden mehr zur Verfügung, weil es einen Stau gibt. Plötzlich können wir ihn nicht mehr für die Wettersatelliten brauchen.»

Das Problem ist, dass der Orbit kommerzialisiert ist.
Autor: Thomas Zurbuchen Astrophysiker und Nasa-Wissenschaftsdirektor

Ein verstopfter Weltraum ist das eine. Noch mehr Sorgen bereitet Thomas Zurbuchen allerdings der ganze Weltraumschrott, der nun entsteht. Die Anbieter versprechen, ihre Satelliten am Ende der Laufzeit kontrolliert in eine untere Erdumlaufbahn zu bringen, sodass sie verglühen.

Doch Thomas Zurbuchen von der Nasa zweifelt: «Es ist ein Riesenproblem, wenn nur fünf Prozent von Zehntausenden von Satelliten ohne Kontrolle kaputtgehen. Das ist ein grösseres Problem als wir es in der Geschichte der Raumfahrt je hatten.»

Seit den 1950er-Jahren, seit Beginn des Weltraumzeitalters, sind schätzungsweise 5000 Satelliten in den Umlauf gebracht worden. Und schon diese haben erhebliche Mengen an Weltraumschrott zurückgelassen, auch wenn es häufig nur wenige Zentimeter grosse Teile sind. Aber sie reichen, um Satelliten und Weltraummissionen zu gefährden und um die Sicht der Wissenschaft ins All zu trüben.

Zwar profitiert auch die Nasa von den privaten Satellitenunternehmen, indem sie von ihnen wissenschaftliche Daten kauft. Trotzdem ist Thomas Zurbuchen nicht glücklich, wie es momentan läuft: «Es ist ein allgemeines Problem von Innovation, dass die Regulationen oft zu langsam sind. Wir können als USA mit der Nasa Lösungen finden, aber die einzigen Lösungen, die wirklich eine Rolle spielen, sind internationale Lösungen.»

Thomas Zurbuchen lächelt in die Kamera.
Legende: Der Schweizer Thomas Zurbuchen ist seit 2016 Wissenschaftsdirektor bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Keystone

Dafür müssen die wichtigsten Staaten freiwillig zusammenfinden. Zwar laufe die internationale Diskussion zu diesem Thema, aber es müsse schnell vorwärtsgehen, mahnt Zurbuchen. Denn mit jedem Monat kommen Hunderte neuer Satelliten hinzu – und vergrössern das Problem. Und da sind die ambitionierten Weltraumpläne von China oder Indien noch gar nicht berücksichtigt.

SRF 4 News, Rendez-vous, 14.09.2021, 12:30 Uhr

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