Das Ende der kurdischen Milizen in Syrien stehe kurz bevor, sagte der türkische Präsident Erdogan – und sorgte damit für Aufsehen. Erdogan sieht diese Milizen als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Es stellt sich die Frage, ob Erdogan eine militärische Intervention in Nordsyrien plant. Mehr dazu weiss der in Istanbul lebende Journalist Thomas Seibert.
SRF News: Welche Hinweise gibt es auf einen möglichen Angriff der türkischen Armee auf die Kurdenmilizen in Nordsyrien?
Thomas Seibert: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, die türkische Armee könne jederzeit ohne Vorwarnung in den Norden Syriens einmarschieren. Doch derzeit gibt es dafür keinerlei konkrete Hinweise.
Wie ist Erdogans Aussage zu werten, die kurdischen Milizen in Nordsyrien seien bald am Ende?
Nach dem Umsturz in Syrien fühlt sich die türkische Regierung stark, Ankara hat einen grossen Einfluss auf die neuen Machthaber in Syrien, die Rebellenallianz HTS. Demgegenüber ist die kurdische PKK in der Türkei praktisch besiegt – und auch im Nordirak, wo die PKK ihr Hauptquartier hat, ist sie in der Defensive.
Erdogan sagte, eine Türkei ohne Terror sei innert kürzester Zeit erreichbar.
Und nun geraten die Kurdenmilizen auch in Nordsyrien unter Druck. Erdogan sagte, sein Ziel sei eine Türkei ohne Terror – und das sei innert kürzester Zeit erreichbar, so der türkische Präsident.
Wie steht die HTS in Syrien zur kurdischen Autonomie im Norden des Landes?
Die HTS-Führung hat angekündigt, keine Milizen mehr zu dulden und sie zu entwaffnen. Das würde auch die YPG, die kurdische Miliz im Norden, betreffen. Sie hatte die kurdische Autonomie in den letzten zehn Jahren in dem Gebiet durchgesetzt.
Die neue Führung in Damaskus betont immer wieder die staatliche Einheit Syriens.
Die neue Führung in Damaskus betont auch immer wieder die staatliche Einheit Syriens. Abspaltungen sollen nicht hingenommen werden. Aus Sicht der Türkei bedeutet dies, dass die Kurden in Nordsyrien bald ihre Waffen abgeben müssen. Mit seinen Aussagen bekräftigte Erdogan nun seine Erwartung, dass die HTS diese Ankündigung auch tatsächlich umsetzt.
Was bedeutet das alles für eine mögliche friedliche Lösung des jahrzehntealten Kurdenkonflikts in der Region?
Aus Sicht Erdogans wäre dies mit einer Kapitulation der PKK verbunden. Er will die verbotene Kurdenorganisation dazu bringen, ihren Krieg gegen die Türkei nach 40 Jahren aufzugeben.
Welche Rolle spielt dabei der seit 20 Jahren inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan?
Gemäss Erdogans Plan soll Öcalan ein Ende des bewaffneten Kampfes der Kurden verkünden. Derzeit geht es um die Bedingungen für eine solche Erklärung. Kurdenvertreter hatten Öcalan kürzlich auf der Gefängnisinsel Imrali besucht und loten nun die Möglichkeiten aus. Dieser Gesprächsprozess steht allerdings erst am Anfang , doch es sieht danach aus, als ob Öcalan eine wichtige Rolle für eine friedliche Beendigung des Kurdenkonflikts in der Türkei spielen wird.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.