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Libanon Der neue Präsident hat eine schwierige Aufgabe vor sich

Über zwei Jahre hat der politische Stillstand im Libanon gedauert. Nun hat sich das Parlament des Landes beim 13. Anlauf auf einen neuen Präsidenten einigen können: auf Joseph Aoun. Der 60-jährige Generalstabschef der libanesischen Armee hat im zweiten Wahlgang 99 von 128 Stimmen erreicht – und damit die erforderliche Mehrheit.

Die Wahl Aouns ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Denn der Libanon ist ein tief gespaltenes Land: Auch 35 Jahre nach dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs gibt es deutliche Bruchlinien zwischen den zahlreichen Religionsgruppen des Landes. Die politische Macht ist anhand von konfessionellem Proporz aufgeteilt, was oft zu Blockaden führt.

Hisbollah-Schwächung als Grundlage

Eine der stärksten Kräfte war dabei stets die schiitische Hisbollah, die sowohl als politische Partei als auch als bewaffnete Miliz auftritt. Doch seit vergangenem Sommer hat die Hisbollah massiv an Schlagkraft verloren. Die Tötung ihrer gesamten Führungsriege inklusive Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah hat die selbsternannte «Partei Gottes» massiv geschwächt.

Mann in Anzug von Sicherheitspersonal umgeben vor Militärparade.
Legende: Joseph Aoun verlässt nach seiner Wahl zum Präsidenten das Parlamentsgebäude. REUTERS/Mohamed Azakir

In der Folge kam es im November zu einem Waffenstillstand zwischen der Hisbollah und Israel. Und der internationale Druck auf die politische Klasse des Landes stieg, nun endlich einen neuen Präsidenten zu wählen. Möglich war Aouns Wahl nur, weil er auch Stimmen der Hisbollah bekommen hat – vor einem halben Jahr wäre das noch kaum denkbar gewesen.

Entwaffnung der Hisbollah

Nun wartet auf Aoun eine schwierige Aufgabe: Er muss den Libanon nach zwei Jahren politischem Stillstand und nach über fünf Jahren Wirtschaftskrise aus der Misere führen.

Seine vorerst wichtigste Aufgabe wird es sein, die im November geschlossene Waffenruhe mit Israel zu erhalten und in einen längerfristigen Frieden zu überführen. Aoun sagte bereits in seiner ersten Rede als Präsident, dass nur noch die libanesische Armee Waffen besitzen dürfe. Mit anderen Worten: Die bis anhin so mächtige Hisbollah-Miliz soll entwaffnet werden.

Wirtschaft und Flüchtlinge

Die zweite wichtige Aufgabe, die auf Aoun wartet, ist es, die Wirtschaft des Libanons wieder aufzubauen und zu stärken. Seit 2019 steckt das Land in der schwersten Wirtschaftskrise seiner bisherigen Geschichte. Die Währung des Landes hat über 90 Prozent an Wert verloren – viele Menschen haben ihr ganzes Erspartes verloren.

Die dritte wichtige Aufgabe Aouns wird es sein, die Beziehungen mit Nachbarländern und Partnern neu aufzustellen. Seit dem Machtwechsel in Syrien gibt es im Libanon neue Hoffnung, dass die gegen zwei Millionen syrischer Flüchtlinge das Land dereinst verlassen könnten. Und mit der Wahl Aouns gibt es neue Hoffnungen, dass Allierte wie die USA oder Saudi-Arabien wieder vermehrt gewillt sind, den Libanon wieder zu unterstützen.

Hoffnung auf Neustart

Die Wahl Aouns zeigt, wie sehr sich die politischen Verhältnisse im Libanon aufgrund der Schwächung der Hisbollah verändert haben. Seine Wahl ist eine Chance für einen politischen Neustart des Landes. Nun muss der bisherige Armee-Generalstabschef unter Beweis stellen, dass er den Libanon als Präsident in eine neue und bessere Zukunft führen kann.

Jonas Bischoff

Nahost-Korrespondent

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Jonas Bischoff ist Nahost-Korrespondent des Schweizer Fernsehens. Zuvor war er Produzent und Redaktor für die Sendung «Heute Morgen» von Radio SRF. Er hat an der Universität Basel «European Global Studies» studiert.

SRF 4 News, 09.01.2025, 15:30 Uhr

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