Zuerst die katastrophale Wirtschaftskrise, dann der Krieg der Hisbollah gegen Israel. Und über allem die politische Krise. Die libanesische Politik stand über Jahre paralysiert im Abseits und konnte sich nicht einmal auf einen Präsidenten einigen. Die stark gespaltenen konfessionellen Lager blockierten sich gegenseitig in der Frage. Doch seit der Wahl von Joseph Aoun zum Präsidenten, Anfang Januar, sei ein politischer Frühling im Libanon eingekehrt, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron anlässlich des ersten Treffens mit Aoun.
Joseph Aoun, der frühere Generalstabschef der libanesischen Armee, war der von Frankreich, den USA und Saudi-Arabien favorisierte Kandidat. Seine Wahl war nur möglich, weil die politische Gegnerin, die schiitische Hisbollah, durch den Krieg mit Israel enorm geschwächt ist, und er auch von ihrer Seite Stimmen erhielt.
Hoffnung auf einen Neuanfang
Der neue libanesische Präsident verkörpere die Hoffnung auf einen Neuanfang im Libanon, sagt Macron, und mit ihm der designierte Premierminister Nawaf Salam.
Der bisherige Präsident des Internationalen Gerichtshofs gilt als nicht korrumpierbar und als Hisbollah-Gegner. Doch muss er bei der Regierungsbildung die Hisbollah einbinden können. Denn obwohl rein rechnerisch eine Regierung auch ohne die Stimmen der Hisbollah zustande kommen könnte, müssen nach einem ungeschriebenen Gesetz die drei grossen Konfessionen im Kabinett vertreten sein – also Sunniten, Christen und Schiiten.
Eine funktionierende Regierung ist seit langem Bedingung dafür, dass wieder internationale Gelder in das von Krieg und Wirtschaftskrise gebeutelte Land fliessen. Gelder, die nun für den Wiederaufbau nach dem intensiven israelischen Beschuss vor allem im Süden dringend nötig wären. Macron hat diesbezüglich eine internationale Geberkonferenz in Paris in Aussicht gestellt.
Internationale Gelder sind wichtig für Stabilität
Dieses Geld ist aber auch für die politische Stabilität wichtig: Denn würde wieder, wie nach dem letzten Krieg von 2006, der Wiederaufbau zu einem grossen Teil mit iranischem Geld durch die Hisbollah finanziert werden, erhielte diese mehr Rückhalt und könnte dadurch wieder politische Entscheide zu ihren Gunsten beeinflussen.
Dass sie dies im Moment zumindest nicht kann, zeigt just die Wahl von Joseph Aoun zum Präsidenten und Nawaf Salam zum designierten Premierminister – beide sind nicht auf Hisbollah-Linie. Gelingt es ihnen, eine Regierung zu bilden, und nächste Woche die Waffenruhe zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee zu verlängern, ist das ein Zeichen dafür, dass sich die politischen Kräfteverhältnisse im Libanon verändert haben.