Es wird eine Zitterpartie für den britischen Premierminister Boris Johnson. Bei den Lokalwahlen heute in England, Schottland und Wales sind 6000 Sitze zu besetzen. Und die jüngste Umfrage von Anfang Woche zeichnet ein düsteres Bild für Johnsons konservative Partei: Nur gerade 34 Prozent der Befragten halten noch zu den Konservativen, gemäss der Umfrage im Auftrag von «Politico». 40 Prozent gaben an, sie würden die linke Labour-Party wählen, wenn jetzt nationale Wahlen stattfinden würden.
Pessimisten in Boris Johnsons Partei rechnen mit dem Verlust von mehreren Hundert Sitzen. Je grösser die Wahlschlappe, desto lauter dürften die Stimmen werden, Boris Johnsons Zeit sei um – er müsse den Parteivorsitz der Torries abgeben und auch das Amt des Premierministers.
Verlieren die Tories – oder doch Labour?
Optimisten in Johnsons Umfeld halten dem entgegen: Die Lage sehe weit besser aus für die Konservativen als für Labour. Denn die Konservativen hätten weniger Sitze zu verteidigen, bei den diesjährigen Lokalwahlen als Labour. Tatsächlich ist rund ein Drittel der zu besetzenden Sitze im Grossraum London angesiedelt, wo Labour klar die dominierende Partei ist.
Klar ist: Boris Johnsons Ruf ist angeschlagen. Gemäss der «Politico»-Umfrage vertrauen ihm nur noch gerade 34 Prozent der Befragten. Und die Tendenz zeigt weiter nach unten, seit Scotland Yard den Premierminister Mitte April gebüsst hat, weil er im Juni 2020 – mitten im Corona-Lockdown – in seinem Amtssitz eine Geburtstagsparty feierte, obwohl sich damals maximal zwei Personen im selben Raum aufhalten durften.
Lockdown-Partys und Inflation
Boris Johnson hat sich für «diese Zusammenkunft» umgehend entschuldigt und versuchte sich herauszureden, sie habe ja nur «knapp zehn Minuten gedauert» – in einem Konferenzraum, zwischen zwei Sitzungen. Und es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er damit gegen die Regeln verstossen habe. Weitere Bussen dürften folgen. Die Polizei ermittelt wegen weiterer Partys.
Klar ist auch: Die steigenden Lebenshaltungskosten untergraben das Vertrauen in die konservative Regierung. Die Teuerung zieht seit Monaten kräftig an und hat im April mit 8.5 Prozent ein neues Allzeithoch erreicht. Und Boris Johnson machte am Montag in der Morgenshow des Fernsehsenders ITV eine schlechte Figur, als er im zehn Minuten dauernden Interview keine überzeugende Antwort bereit hatte auf die Frage, wie er jenen helfen werde, denen heute schon das Geld fehle, um ihre Heizkosten zu bezahlen. Für einmal fiel Boris Johnson auf die Schnelle kein Rezept ein. Und sein Beraterstab stellte einen Tag später flugs neue Finanzhilfen für Bedürfte in Aussicht.
Boris Johnson ist ein begnadeter Wahlkämpfer. Seit Tagen reist er durchs Land, geht mit konservativen Kandidatinnen und Kandidaten von Tür zu Tür und verspricht tiefere Lokalsteuern, höhere Ausgaben für Strassen, regionale Verkehrsbetriebe sowie für Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen.
Johnson weiss, dass es bei diesen Lokalwahlen auch um seine politische Zukunft geht, obwohl sein Name auf keinem Wahlzettel steht. Wenn seine konservative Partei viele Sitze verliert, dürften die Stimmen wieder laut werden, er habe als Parteileader und Premierminister versagt und müsse gehen – der steigenden Lebenshaltungskosten und der Partygate-Affäre wegen.
Die Wahlurnen schliessen am Donnerstagabend um 22 Uhr Lokalzeit. Die Wahlresultate werden im Laufe des Freitags eintreffen.