Welche Rolle spielt Johnson im Ukraine-Krieg? Der britische Premierminister engagiert sich stark für die Anliegen der Ukraine. Er war einer der ersten Staatschefs, die bereits vor dem Krieg die Bedrohung durch russische Truppen an der Grenze laut und deutlich verurteilt hat. Grossbritannien war auch eines der ersten Länder, das Waffen in die Ukraine lieferte. Johnson ist schon vor der Invasion in die Ukraine und nach Polen gereist, hat den Kontakt zu Wolodimir Selenski gepflegt.
Zudem hat die britische Regierung am Donnerstag angekündigt, dem Internationalen Strafgerichtshof bei der Aufarbeitung russischer Kriegsverbrechen helfen zu wollen. Konkret sollen umgerechnet 1.3 Millionen Franken und Fachpersonal zur Verfügung gestellt werden. «In diesem Sinn ist das Engagement der Briten durchaus wichtig und ernsthaft», sagt SRF-Grossbritannien-Korrespondent Patrik Wülser.
Wie reagiert der Kreml darauf? Während die ukrainische Regierung Johnson lobt, zeigt sich die russische Führung genervt. Der britische Premier sei der «aktivste antirussische Staatschef», liess der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstag verlauten.
Wie sehen das die Britinnen und Briten? Bis vor kurzem stand Johnson noch unter starkem innenpolitischem Druck – Stichwort Partygate . Doch seine Haltung im Ukraine-Krieg kommt zuhause gut an, er wird sogar gelobt für sein Engagement. «Die Rhetorik war auch nie das Problem von Johnson», sagt Wülser. «Er ist ein guter, charismatischer Redner, der die Leute überzeugen kann, besonders in Krisensituationen.» In dieser Rolle sei ihm auch sichtlich wohl. «Doch Rhetorik und Realität klaffen bei Johnson dann im innenpolitischen, normalen Alltag auseinander.»
Schlägt Johnson aus dem Krieg Kapital? Es klinge zwar zynisch, aber das könne man durchaus so sehen, sagt Wülser. «Vor einem Monat hat man noch die Tage gezählt, wie lange er noch im Amt bleibt.» Unterdessen seien seine Umfragewerte wieder am Steigen.
Das liegt auch daran, dass mitten in einer grossen Krise niemand ein Interesse daran hat, den Premier auszuwechseln – weder seine Partei noch die Opposition. «Sie muss sich in einer Krise solidarisch zeigen mit der Regierung, ist gezähmt. Das haben wir auch während der Pandemie erlebt. Und die Tories überlegen sich mittlerweile sogar, ob Johnson der richtige Mann ist, um sie in die Wahlen in zwei Jahren zu führen.»
Sind die Vorwürfe gegen ihn vom Tisch? Die Untersuchungen zu den Eskapaden des Premiers während der Pandemie gehen weiter. «Die Polizei hat gestern 100 Fragebögen an die Mitarbeitenden der Downing Street verschickt», weiss der Korrespondent. Es geht darum, ob mitten im Lockdown am Regierungssitz tatsächlich Partys gefeiert wurden, während die Britinnen und Briten zu Hause isoliert waren. Mit Spannung erwartet wird auch der Bericht dazu von Staatssekretärin Sue Grey.
«Aber die Brisanz und die Empörung darüber sind angesichts der Ereignisse in der Ukraine ziemlich verflogen», so Wülser. «Von einem Misstrauensvotum ist mitten im Krieg keine Rede und man ist überzeugt, dass Johnson wohl auch die nächsten zwei Jahre im Amt bleibt.»