Wer gerade im Zug oder auf der Autobahn einen akuten Anfall von Dichtestress hatte, kann sich trösten: Was wir zu Stosszeiten erleben, kommt bei Menschen aus Hongkong einem Yoga-Retreat gleich. In der Megametropole leben auf der Fläche des Kantons Uri über sieben Millionen Menschen; die meisten von ihnen in luftiger Höhe.
Für Touristen gehört es zum (halboffiziellen) Sightseeing-Programm, den Kopf in den Nacken zu legen und sich zu fragen, wie all diese Menschen auf derart engem Raum leben. Die Antwort: Viele Einheimische sind eingezwängt in Wohnkäfige, berühmt-berüchtigt ist das «Monster Building». Der Name ist Programm.
Der Grund dafür, dass viele Wohnungen nur Platz für einen Esstisch und ein Bett bieten: Der Wohnraum in Hongkong ist knapp – und extrem kostspielig. Denn die ehemalige britische Kolonie gehört zu den teuersten Städten der Welt.
Preissturz bei Luxusimmobilien
Im Luxussegment sind die Preise jedoch implodiert. Villen, für die man vor kurzem noch 20 Millionen Franken hinblättern musste, sind derzeit für den halben Preis zu haben.
Um den Preissturz zu erklären, muss man den Blick von der chinesischen Sonderverwaltungszone aufs Festland richten. «Hongkong ist abhängig von der chinesischen Wirtschaft», sagt der freie Journalist Stefan Kretschmer. «Und seit der Pandemie erholt sich die Wirtschaft im Land nur extrem schleppend.»
Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt kränkelt, und das schlägt auch auf den Immobilienmarkt durch. Leisten könnten sich diese Luxusobjekte vor allem Festlandchinesen aus der politischen und wirtschaftlichen Elite, sagt der deutsche Journalist, der lange Jahre aus China berichtet hat.
Peking nimmt Immobilienbosse ins Visier
Einer von ihnen ist Xu Jiayin, der Gründer des Immobilienkonzerns Evergrande. Er galt lange als einer der reichsten Menschen Asiens und besass ein sündhaft teures Anwesen in Hongkong. Der Konzern ging pleite und löste eine Immobilienkrise in China aus. Schliesslich wurde Xu verhaftet und seine Villa regelrecht verscherbelt.
Damit teilt er das Schicksal anderer Immobilien-Tycoons, die in Hongkong residierten: Nachdem die Immobilienblase geplatzt ist, hat Peking die Auflagen für die Branche verschärft und sich umtriebige Manager vorgeknüpft. «Gleichzeitig nimmt Xi Jinpings Anti-Korruptionskampagne die Ultrareichen ins Visier, also genau die Leute, die Luxusimmobilien in Hongkong besitzen», sagt Kretschmer.
Die schwächelnde Wirtschaft und Pekings langer Arm wirken sich aus: Die Zahl der Milliardäre in China ist laut einer aktuellen Erhebung seit 2021 um einen Drittel geschwunden (von 1185 auf 753). Auch, weil einige ihr Vermögen ins Ausland retten und Hongkong den Rücken zukehren.
Es lässt sich noch immer leben
«Hongkong bleibt aber eine extrem wohlhabende Stadt», relativiert Kretschmer. «Auf den Strassen fahren Bentleys, in den Shopping-Malls reihen sich Designerläden aneinander, an den Häfen liegen die Jachten der Superreichen und am Himmel schwirren ihre Helikopter herum.»
Die «Krise» betreffe nur das obere 0.1 Prozent. Und es gibt in Hongkong genug Menschen, die das nötige Kleingeld haben, um sich die Villen der Festlandchinesen zu ergattern: «Laut Schätzungen ist einer von 14 lokalen Hongkongern Multimillionär, wenn man in US-Dollar rechnet», sagt Kretschmer. «Das ‹höher, schneller, weiter› im Luxussegment mag vorbei sein, die Nachfrage bleibt aber gross.»