Zwischen Weihnachten und Neujahr fährt der diplomatische Betrieb traditionell herunter. Am Mittwoch kam es in Moskau aber zu einem bemerkenswerten Treffen. Dort verhandelten die beiden Verteidigungsminister von Syrien und der Türkei – unter russischer Vermittlung. Seit elf Jahren gab es kein solches Treffen auf Ministerebene mehr.
Nach Angaben des türkischen und russischen Verteidigungsministeriums wurden bei den «konstruktiven Verhandlungen» Wege für eine Lösung im Krieg in Syrien besprochen. Es sei zudem um das Thema Flüchtlinge und die gemeinsamen Anstrengungen im Kampf gegen extremistische Gruppierungen gegangen.
Zunächst versuchte die Türkei, Präsident Assad in Syrien zu stürzen. Jetzt führt sie Gespräche mit seiner Regierung, die früher kategorisch ausgeschlossen worden waren.
An den Gesprächen nahmen den Angaben zufolge auch der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sowie die Geheimdienstchefs aller drei Länder teil. Im Krieg in Syrien unterstützt Moskau den Präsidenten Baschar al-Assad, die Türkei steht auf der Seite von Rebellen.
Thomas Seibert, freier Journalist in Istanbul, spricht von einem sehr bedeutenden Treffen. «Es markiert gewissermassen die 180-Grad-Wende der Türkei in der Syrien-Politik. Zunächst versuchte sie, Präsident Assad in Syrien zu stürzen. Jetzt führt sie Gespräche mit seiner Regierung, die früher kategorisch ausgeschlossen worden waren.»
Die Türkei hat in Syrien handfeste Interessen. Dass Ankara nun die Annäherung zum Assad-Regime sucht, hat für Journalist Seibert aber vor allem innenpolitische Gründe: Im neuen Jahr stehen in der Türkei Wahlen an. Vonseiten der Opposition wächst der Druck auf Präsident Erdogan, in der Flüchtlingsfrage aktiv zu werden. «Sie fordert schon lange Gespräche mit der syrischen Regierung, um die vier Millionen Kriegsflüchtlinge wieder nachhause zu schicken.»
Zudem betrachtet die Türkei die syrische Kurdenmiliz YPG als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit. «Jetzt will sie erkannt haben, dass auch Assad gegen die Miliz vorgehen möchte», sagt Seibert. «Plötzlich erkennt Ankara gemeinsame Interessen mit Damaskus.»
Müssen die syrischen Flüchtlinge also bald in ihre kriegsversehrte Heimat zurückkehren? Seibert bezweifelt dies: «Diesen Eindruck möchte Erdogan zwar vor den Wahlen vermitteln. Die allermeisten Flüchtlinge sind aber schon seit Jahren in der Türkei und haben dort Existenzen aufgebaut.»
Eine freiwillige Rückkehr ist also unwahrscheinlich. «Und eine Zwangsrückkehr würde gegen das Völkerrecht verstossen, weil die syrischen Flüchtlinge in der Türkei einen Schutzstatus unter dem Dach der UNO geniessen.» Auch sei von Erdogans lange angekündigten Plänen, die Flüchtlinge im Norden Syriens in neue Städte anzusiedeln, noch nichts zu sehen.
Dass Russland zwischen den Rivalen vermittelt, ist kein Zufall. «Es möchte die Türkei weiter auf seine Seite ziehen, besonders im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg», sagt Seibert. «Die türkisch-russische Zusammenarbeit richtet sich auch gegen die USA, die im Norden Syriens Soldaten stationiert haben und mit der YPG zusammenarbeiten.»
Assad seinerseits habe kein Interesse, den Wahlhelfer für Erdogan zu spielen, schätzt Seibert. Vielmehr dürfte Idlib, die letzte Rebellenhochburg in Syrien, zum Verhandlungspfand werden. Die Aufständischen werden von der Türkei unterstützt, das syrische Regime möchte die Provinz im Norden des Landes unter seine Kontrolle bringen. Der Machtpoker zwischen Assad und Erdogan ist eröffnet.