Die Stimmung am Freitag ist ausgelassen. Angereist sind Menschen aus dem ganzen Land jeglichen Alters. Viele in Gruppen mit einem religiösen Hintergrund: Studierende von christlichen Universitäten oder Kirchgemeinschaften. So wie die Katholikin Rosa aus New York.
Sie hält ein Plakat in den Händen, auf dem steht: «every person has the right to be born» – jede Person hat das Recht, geboren zu werden. Für sie beginnt das Leben bei der Zeugung. Das sei der Moment, in dem man entscheiden könne. Anschliessend gebe es keine Wahl, ein Kind zu töten, dem Gott einen Schutzengel gegeben habe, sagt sie.
Die zweifache Grossmutter kämpft für ein radikales Abtreibungsverbot in ihrem Bundesstaat New York. Dort sind Abtreibungen bis zirka Anfang des siebten Schwangerschaftsmonats erlaubt. Ab dann gilt ein Kind als überlebensfähig.
Ein ähnlich liberales Abtreibungsgesetz kennt der Bundesstaat Michigan. Das Stimmvolk hat sich erst gerade im November deutlich dafür ausgesprochen. Sarah studiert an einem christlichen College in Michigan und kämpfte vergeblich dagegen.
Es sei ein harter Rückschlag gewesen, sagt sie. Doch sie glaubt, viele eigentlich konservativ Wählende, hätten nicht verstanden, wie weit das Gesetz gehe und dafür gestimmt: «Im Gespräch mit meist konservativen, republikanischen Wählenden stellte sich heraus, dass diese zwar mehrheitlich für ein Recht auf Abtreibung waren, dabei aber an die Frühphase Schwangerschaft dachten.»
Feministin und Abtreibungsgegnerin: «Kein Widerspruch»
Nicht zuletzt deshalb kämpft Sarah weiter, weil sie Abtreibungen gegen Ende der Schwangerschaft besonders schlimm findet. Ihre Kollegin Kathryn unterstützt sie dabei. «This is what a pro life feminist looks like» steht auf ihrem Plakat – so sieht eine Pro-Life-Feministin aus.
Sie sei Feministin und Abtreibungsgegnerin und das sei kein Widerspruch. Nur werde ihre Stimme oft übertönt von Feministinnen, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzten und damit für etwas, was den Frauen schade. Deshalb ist Kathryn auch nach Washington gereist, um am Marsch für das Leben teilzunehmen.
Dieser Marsch endete dieses Jahr symbolisch nicht mehr vor dem Supreme Court, da der Oberste Gerichtshof sein Urteil gefällt hat, sondern vor dem Regierungsgebäude, dem Kapitol.
Die Abtreibungsgegnerinnen und -gegner möchten nun landesweit ein Abtreibungsverbot gesetzlich verankern. Die Regierung Biden möchte das Gegenteil und das Recht auf Abtreibung in einem Gesetz regeln. Beide Anliegen sind in der jetzigen Konstellation des Parlaments chancenlos.