An den bürokratischen Ritualen hat sich in der vom Schweizer Botschafter Jürg Lauber eröffneten 58. Session des UNO-Menschenrechtsrates nichts geändert. Anders ist indes der Ton – dramatischer, pessimistischer.
«Während wir uns in Genf treffen, zerbröseln gerade grundlegende Freiheiten», so Lauber. Er stellt einen alarmierenden Druck auf die Menschenrechte fest. Die Prinzipien der Vereinten Nationen stünden auf dem Prüfstand.
UNO-Generalsekretär António Guterres hält sich oft zurück in Sachen Menschenrechte. Wohl wissend, dass das Thema unter den UNO-Mitgliedern umstritten ist. Menschenrechtsorganisationen schelten ihn deshalb einen Zauderer.
Sauerstoff der Menschheit
Doch nun kam er eigens nach Genf zur Sessionseröffnung, um den Regierungen ins Gewissen zu reden. Auch das ist ein Signal. Die Menschenrechte seien, so Guterres, der Sauerstoff der Menschheit. Doch eines nach dem anderen würden diese Rechte derzeit erstickt.
Er wandte sich auch gegen Wirtschaftsmächtige, die Menschenrechte als Hindernisse sähen zu noch mehr Macht, Kontrolle und Profiten. Den Namen Elon Musk nannte er nicht. Ebenso wenig erwähnte er die US-Regierung explizit. Dennoch war unüberhörbar, dass er sie meinte. Denn sie will ja für soziale Netzwerke und die Künstliche Intelligenz keinerlei Schranken akzeptieren.
Der UNO-Chef sprach vom «Gift der Desinformation, der Lüge, der Hassrede, des Rassismus». All das werde nicht nur toleriert, sondern gar gefördert. Die Folge sei nicht mehr Meinungsäusserungsfreiheit, sondern weniger.
Ins selbe Horn stösst der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk. Der Konsens in Sachen Menschenrechte löse sich gerade auf unter dem Einfluss von Autokraten, starken Männern und Oligarchen.
Diktatoren kontrollierten mittlerweile mehr als ein Drittel der globalen Wirtschaft, gut doppelt so viel wie noch vor dreissig Jahren. Mehr als jede und jeder Zweite lebt unter ihrer Fuchtel.
Wichtige Länder steigen aus
Der UNO-Menschenrechtsrat hat aber noch ein weiteres, neues und schwieriges Problem. Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis sprach es an. Nämlich, dass die USA und Israel diesem UNO-Schlüsselgremium den Rücken kehrten. Die Schweiz sei besorgt, so Cassis. Diese Abwesenheit sei falsch, denn alle trügen Verantwortung.
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Tatsächlich haben sich die USA hier jahrzehntelang stark engagiert, durchaus auch im eigenen Interesse. Kein anderes Land war im Menschenrechtsrat einflussreicher. Ob es um die Untersuchungskommission für die Ukraine ging, um Kritik an der Unterdrückung von Tibetern und Uiguren in China, aber auch um die Rechte von Frauen, von Homosexuellen – stets gehörte Washington zu den Fürsprechern.
Oft schritten die USA gar voran mit der Fahne der Freiheit. Befürchtet wird nun, dass solche Anliegen künftig auflaufen, weil Länder, die wenig halten von Freiheitsrechten, das Zepter übernehmen. Die Vermutung klingt plausibel. Genau deshalb wirft ausgerechnet der prominente Abwesende – die USA – zusätzlich einen langen Schatten über diese Frühjahrssession.
Viel Hoffnung gibt es ohnehin nicht, es sei denn etwas Zweckoptimismus. Und den wiederholten Appell, Widerstand zu leisten gegen all die krass negativen Entwicklungen. Also: Schwimmen gegen den Strom.